02/07/2024 0 Kommentare
Was ist gesundes Selbstbewusstsein?
Was ist gesundes Selbstbewusstsein?
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Was ist gesundes Selbstbewusstsein?
Aufrecht, stolz und scheinbar selbstbewusst steht er da. Der Mann, der das ziemlich merkwürdige Dankgebet an Gott richtet: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die anderen Menschen, alle diese Räuber, Betrüger und Ehebrecher, oder auch wie dieser Zolleinnehmer hier! Ich faste zwei Tage in der Woche und gebe dir den vorgeschriebenen Zehnten* sogar noch von dem, was ich bei anderen einkaufe!’“ Derjenige, der so spricht, bemüht sich, als guter jüdischer Mensch zu leben, tut noch mehr als in der Tora geboten - und ist mächtig stolz darauf.
Dass er von seinem guten Taten in der Form eines Dankgebetes spricht, gibt ihm einen frommen Anschein. Doch gar nicht fromm ist, dass er nicht von seinem Tun zu Gott sprechen kann, ohne dabei andere abzuwerten. „Danke, dass ich nicht so bin wie die anderen, diese Räuber, Betrüger, Ehebrecher.“ Dieser Dank ist falsch und in den Augen Jesu auch nicht gottgefällig. Denn durch ihn kommt eine große Abwertung anderer zum Ausdruck.
„Guck dir mal an, was die anderen alles tun, und vergleich die dann mit mir.“ Diese Taktik, die der Mann verwendet, kommt mir sehr vertraut vor. Ich glaube, vielen Menschen fällt es schwer mit einem gesunden Selbstbewusstsein davon zu sprechen, was sie gut können und was sie richtig getan haben. So etwas auszusprechen braucht ja auch Mut, denn wenn man positiv von sich spricht, macht man sich selbst angreifbar. Es könnte ja jemand kommen, der sagt: „Also gut ist nun wirklich etwas anderes.“ Oder auch: „Das ist ja ganz okay, aber es könnte noch viel besser sein.“ Viel leichter ist es dann, erst die Menschen ins Spiel zu bringen, die man für weniger fähig als sich selbst hält, um dann selbst besser dazu stehen: „Wie die Frau ihre Kinder verzieht. Mit der verglichen bin ich eine viel besser Mutter.“ Oder auch: „Voll peinlich, wie der sich neulich beim Karaoke blamiert hat. Dagegen bin ich ja fast ein Supertalent.“ oder: „Ich hab sich nicht alles richtig gemacht im Job. Aber verglichen mit meinem Nachfolger, war ich doch klasse.“
Auf anderen Herumzutreten um selbst besser dazustehen, das ist manchmal Folge von mangelndem Selbstbewusstsein. Doch es gibt auch solche Menschen, die andere abwerten, weil sie restlos von sich selbst überzeugt sind und ihr Tun und ihre Meinung als einzig richtig ansehen. Über diese Haltung erzählen der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und der Psychologe Friedemann Schulz von Thun in ihrem Buch „Die Kunst des Miteinanderredens“, das ich in den letzten Wochen gelesen, ja verschlungen habe.
Die beiden Professoren sind der Ansicht: Der Grund dafür, dass Konflikte, die in unserer Gesellschaft ausgetragen werden, eskalieren, liegt oft daran, dass wir uns selbst glorifizieren und zugleich den oder die andere abwerten. Wir stürzen uns auf die Fehler der anderen und auf ihre vermeintlich völlig absurde Meinung und malen in schwärzesten Farben die Folgen ihres Tuns und Denkens aus. Damit schießen wir oft übers Ziel hinaus und provozieren den anderen zum aggressiven Gegenschlag. So werden etwa Menschen, die um die Entwicklung ihres Landes besorgt sind vorschnell in die rechte Ecke gestellt und anders herum diejenigen, die sich sozial engagieren, als naive Gutmenschen abgestempelt. Man diskutiert nicht mehr über unterschiedliche Meinungen zu einem Thema, sondern unterstellt einander das Schlimmste und beschimpft sich gegenseitig.
All das geschieht - so Pörksen und Schulz von Thun - weil viele Leute nicht bereit sind, einander wirklich zuzuhören und dem anderen nicht zugestehen, dass auch in seiner Meinung ein Körnchen Wahrheit stecken könnte. Doch tatsächlich gibt es oft nicht das absolut Richtige und absolut Falsche und häufig steckt die Wahrheit zwischen zwei verschiedenen Positionen. Doch erkennen können wir das nur, wenn wir den Gesprächspartner respektieren und bereit sind, uns gedanklich auf die Gegenseite eine Zeit lang einzulassen. „Die Wahrheit beginnt zu zweit“, so lautet einer der Schlüsselsätze des Buches. Sie beginnt dort, wo man sich gemeinsam auf die Suche macht.
„Danke, dass ich nicht so bin wie die anderen“, sagt der eine Mann in der biblischen Geschichte mit schiefem Blick auf den anderen. Dieser wiederum ist ganz bei sich und Gott. „Sei mir Sünder gnädig“, betet er und bringt damit eine demütige Haltung zum Ausdruck, die Jesus lobt. Doch obwohl er dies tut, darf auch diese Haltung nicht absolut gesetzt und die Gebetsworte nicht als einzige Möglichkeit gesehen werden, ein gutes Gebet zu sprechen. Denn, wer sich nur auf seine Unvollkommenheit konzentriert und gebückt durchs Leben geht, der kann nicht nur kaum Freude am Leben finden, sondern auch nur schwer die nötige Kraft, um Gutes bewirken.
Wichtig ist daher hier, sich bewusst zu machen, dass Jesus überhaupt nicht sagt, dass jeder immer so wie dieser Mann beten sollte. So heißt es zu Beginn der Geschichte, dass Jesus sie denen erzählt, die meinten vor Gott untadelig dazustehen. Sie also sind es, denen er vor Augen hält, dass es ihnen wirklich gut tun würde, sich ihrer eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten zu stellen. Angst müssen sie davor nicht haben, denn die frohe Botschaft, die Jesus verkündet lautet: Welche Folgen unsere Taten und Untaten auch haben und wie schwer sie auch auf uns lasten - Gottes Liebe verspielen sie nicht.
„Der Zolleinnehmer ging aus dem Tempel in sein Haus hinunter als einer, den Gott für gerecht erklärt hatte – ganz im Unterschied zu dem Pharisäer“, so ergänzt Jesus und spricht dabei davon, dass man nicht unfehlbar sein muss, vom von Gott angenommen zu werden. Wir dürfen irren, wir dürfen Fehler machen - und zugleich sollen uns das auch zu- und eingestehen. Denn dann gewinnt unser Verhältnis zu uns, zu Gott und zu den anderen an Ehrlichkeit. Wenn wir wissen, dass wir nicht vollkommen sind, sind wir auch weniger streng zu anderen. Wir haben es dann nicht nötig, sie zu erniedrigen und uns zu erhöhen, sondern können in einen respektvollen Austausch über unser unterschiedliches Denken und Tun einsteigen. Und vielleicht können wir sogar merken, dass man aus den Meinungen anderer - auch wenn man sie nicht teilt - zumindest lernen kann.
Der Klimaschutz bleibt für mich vielleicht wichtiger als eine stabile Wirtschaft, doch im Austausch mit anders Denkenden mag ich erkennen, dass man bei der Entwicklung alternativer Energiegewinnung und eines neuen Lebensstils auch den Aspekt der Arbeitsplatzgewinnung im Auge haben muss. Ich mag den Corona-Virus weiterhin für gefährlich und Einschränkungen für sinnvoll halten, und merke doch, dass bestimmten Berufsgruppen stärker unter die Arme gegriffen werden muss. Weitere Beispiel ließen sich hier ergänzen. Sicher fallen Ihnen welche ein.
Pharisäer und Zöllner - der Dankende und der Bittende - werden in dieser Geschichte als sehr gegensätzliche Persönlichkeiten einander gegenüber gestellt. Ein Dialog täte beiden sicher ganz gut. Und für unsere eigene Persönlichkeit, denke ich, ist es empfehlenswert, Elemente von beiden in uns zu vereinen. Die Zufriedenheit des einen über sein Tun und die Bereitschaft des anderen, sich seine Unvollkommenheit einzustehen. Aus diesem Zusammenspiel setzt sich ein gesundes Selbstbild und Selbstbewusstsein zusammen. Und auch eine Haltung, die dem Zusammenleben gut tut. Ich kann Gutes tun - und du kannst es auch. Ich kann recht haben - und du auch. Ich kann mich irren - und du ebenfalls. Bleiben wir im Kontakt. Denn die Wahrheit beginnt zu zweit.
Pastorin Carolin Joppig
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