Besonderer Mensch – besondere Musik

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Besonderer Mensch – besondere Musik

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Besonderer Mensch – besondere Musik

Es ist Sonntagnachmittag, 17 Uhr. In der Martin-Luther-Kirche sammeln sich etwa 25 Chorsänger:innen in entspannter Stimmung um Kirchenmusiker Bernhard Stützer und das in den Kirchenraum gerollte Klavier. Sie singen sich für den Abendgottesdienst ein, in dem sie mit drei Liedern den Gottesdienstbesucher:innen einen Eindruck von ihrem großen Projekt vermitteln werden: der Aufführung des Liedoratoriums über den evangelischen Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer am 15.06. um 18.00 Uhr in unserer Kirche. 

Die heute vorgetragenen Lieder geben einen Einblick in die Themen, die Bonhoeffers theologischen Ansatz und seine persönliche und politische Haltung prägen, so im Lied Nr. 4: „Es gibt keinen Weg zum Frieden, außer dem Frieden selbst“. Oder in Lied Nr. 11 mit den Worten „...kann sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht; dann will ich gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht!“ Bei den letzten drei Worten steigert sich die Musik zum trotzigen Stakkato-Sprechgesang.

Eine besondere Herausforderung

Wie stark dieses Projekt musikalisch und inhaltlich die Chor-Mitglieder fordert und bewegt, wird in der Pause zwischen Einsingen und Gottesdienst im Gespräch mit Irene Schulte, Beate Zimmermann (Sopran) und Jan Müntinga (Bass) deutlich. Sie sind langjährige und erfahrene Chormitglieder. Aber die Arbeit an diesem Projekt stellt für sie eine besondere Herausforderung dar. Zum einen musikalisch, denn die verschiedenen Liednummern stellen sehr vielfältige Anforderungen an die eher an klassische Kirchenmusik gewohnten Sänger:innen. Es gibt z.B. viele Synkopen und schnellen Sprechgesang fast im Stile eines Kurt Weill („Dreigroschenoper“), aber auch eher lyrisch anmutende Gebete und Betrachtungen. Zum anderen greift der Inhalt der Texte auch die Seele an. Bonhoeffers Worte rühren viele Gedanken an, und gleichzeitig, darauf weist Jan Müntinga hin, weiß jede:r, dass es für den Urheber dieser Texte kein HappyEnd, sondern einen qualvollen Tod gab.

Anfängliche Berührungsängste sind aber inzwischen der Vorfreude gewichen, auch im Vertrauen auf die Erfahrung ihres Chorleiters. 

Jede:r hat ein anderes Lieblingslied

Dieses anspruchsvolle Projekt hat dem Chor auch neue Sänger:innen zugeführt. Das führen die Gesprächspartner:innen vor allem auf die Vielfalt und faszinierende Wirkung der Texte zurück. Sie bieten nicht nur die theologischen Kernaussagen, sondern auch viele persönliche Einblicke in das Leben Bonhoeffers, ohne dabei jedoch ins Kitschige abzugleiten. Und so äußern sich, bei aller gemeinsamen Begeisterung über das Projekt, die drei Gesprächspartner:innen unterschiedlich bei der Frage nach ihrem Lieblingslied innerhalb des Oratoriums.

Jan Müntinga, der sich schon früher intensiv mit der Biografie Bonhoeffers auseinandergesetzt hat, nennt für sich eher die „stillen“ Gebetsvertonungen und Selbstbetrachtungen in den Nummern 10 und 13. Er bewundert zutiefst die christliche Überzeugung Bonhoeffers und seine bewusste Entscheidung, bei allem persönlichen Risiko in Deutschland die Bekennende Kirche zu unterstützen und mit seinen Ideen voranzubringen. 

Beate Zimmermann gefällt das schon zitierte Lied Nr. 11 besonders gut, gerade auch wegen des ungewohnten und gesanglich schwierigen Musikstils. Sie findet, dass dadurch Bonhoeffer eben nicht als Säulenheiliger auf einen Sockel gestellt wird, sondern dass sich in der Musik der hinter seinem Wirken stehende tiefe Glaube, die alltägliche Überzeugungsarbeit und seine Konsequenz widerspiegelt.

Irene Schulte beeindruckt die Nr. 19, in dem das berühmte Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen…“, der letzte bekannte Text Bonhoeffers, musikalisch verarbeitet wird. Sie weist aber auch auf das zitierte Lied Nr. 4 über den Frieden hin und wirft die Frage auf, ob sich Bonhoeffer in der gegenwärtigen Debatte über Aufrüstung, Verteidigungsfähigkeit und Waffenlieferungen nicht gegen den Mainstream, auch in der evangelischen Kirche, gestellt hätte.

Stephan Michael

Neugierig geworden? Erhalten sie einen kleinen musikalischen Vorgeschmack auf das Liedoratorium mit verschiedenen Hörproben: Ausschnitte aus dem Bonhoeffer-Oratorium.


Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe unseres "Gemeindebrief" mittendrin erschienen. In gedruckter Version liegt das "mittendrin" in zahlreichen Geschäften und Praxen im Stadtteil aus sowie in unserem Gemeindezentrum. Als PDF können Sie sich den Gemeindebrief hier herunterladen: mittendrin 6'25.

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