02/07/2024 0 Kommentare
Endlich lebendig!
Endlich lebendig!
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Endlich lebendig!
Von der Auferstehung sprechen - wie geht das? Angesichts der schrecklichen Bilder, die wir eigentlich nicht sehen wollen und die sich uns doch einbrennen? Wie kann man von der Auferstehung sprechen, wenn so offensichtlich die todbringenden Waffen triumphieren? Und die Lüge, die sie als Propaganda begleitet? Auferstehung scheint keine Erfahrung von dieser Welt zu sein.
Sind nicht die sichtbaren Zeichen dieser Welt die Flüchtlingstrecks und die sinkenden Schlauchboote, die Hungerbäuche und die Zeugnisse der Gewalttaten? Oder die Wirbelstürme und Hochwasser, die wir mal Naturkatastrophen genannt haben, aber jetzt doch Klimakatastrophe nennen müssen, denn wir wissen, wer das verursacht hat. Und auch das verborgene Elend, das wir nicht zeigen, und mit dem doch leben: der Schmerz, die Einsamkeit, die Armut – ist das nicht die Signatur unserer Erde?
Und ist nicht unter all dem, was uns bedrückt und lähmt, ausgerechnet ein Kreuz das einzige sichtbare Zeichen Gottes in dieser Welt?
Wie können wir die Auferstehung sehen? Oder spüren? Oder in unseren Erfahrungen erleben? Welches Zeichen, welches Bild gibt es davon? Wo steckt die Auferstehung zwischen Krieg und Tod, zwischen Lüge und Ignoranz, zwischen Hass und Schmerz?
Auferstehung ist ein geistliches Geschehen. Von Natur aus sind wir Menschen Leib und Seele. Wir sind Leib: Schöner, aber auch verletzlicher, starker, aber doch auch dem Tode entgegengehender Leib. Und wir sind Seele, die Summe unserer Interessen, Neigungen, Vorlieben, Begierden und aller Gefühle. Unsere Natur, fasst der Kolosserbrief (2,12-15) zusammen, ist auf das allzu Menschliche ausgerichtet. So sehr wir manchmal lieben können, ist der Hass doch offensichtlich stärker. So sehr wir manchmal neue Hoffnung schöpfen können, bleibt am Ende doch die Verzweiflung. So sehr wir unseren Körper trainieren und fit machen, steht am Ende doch der Verfall. Und so sehr wir uns bemühen, gerecht zu sein und das Richtige zu tun, bleiben wir schwach, matt, erfolglos.
Aber nun sind wir nicht nur leiblich und seelisch, wir sind als gläubige Menschen auch geistlich. Aber das nicht aus uns heraus, sondern von Gott her. Der Geist ist nichts, was wir von uns aus erreichen können. Keine noch bessere Ethik, keine noch schlauere Weltfriedensphilosophie, und kein noch ausgefeilteres Selbstoptimierungs-Programm. Der Geist ist ein Geschenk, und das gibt es in der Taufe. Gott schenkt uns, ohne dass wir es verdient hätten oder verdienen könnten, das wichtigste: Seinen Sohn Jesus Christus (Joh 3,16).
Er schenkt uns nicht nur die Früchte von dessen Schicksal: Dass er stellvertretend gelitten hat, als Unschuldiger hingerichtet wurde, begraben wurde und dann auferweckt wurde am dritten Tage. Gott schenkt uns in der Taufe auch, dass wir genau dieses Schicksal Jesu Christi auch an uns haben.
Nämlich, dass wir leiden. Dafür braucht es keinen weiteren Nachweis, denke ich. Und dass wir sterben, und damit ist nicht erst der leibliche Tod am Ende des Lebens gemeint, sondern der Tod an der eigenen Schuld, an den Verstrickungen, in denen wir uns wiederfinden. Der Tod am Konsum, der einen leer lässt, der Tod an der Ideologie, in die man sich verrannt hat, der Tod an der Verbitterung, die wie ein schlammiger Bodensatz in unserer Seele ansteigt.
Gott schenkt uns durch den Geist die Gleichförmigkeit mit dem Schicksal Jesu, der all dies auch erlitten hat. Er schenkt uns Anteil an seinem Leiden und seinem Tod und - das ist entscheidend - an seiner Auferstehung.
Gott hat uns mit Christus zusammen lebendig macht. Darauf müssen wir nicht warten bis ans Ende aller Tage. Das ist jetzt. Jetzt seid Ihr lebendig gemacht worden durch die Gnade Gottes (Kol 2,12-13). Endlich. Und jetzt lebt ihr in der Kraft der Auferstehung.
Allerdings ist das – ein geistliches Geschehen. Und ist deshalb, wie es unser Bekenntnis sagt, verborgen. Und doch erkennbar.
So ist das nämlich nicht nur mit Gott selbst, sondern mit allem, was er sagt und tut und schenkt: Es ist verborgen – und doch erkennbar. So reden ja auch die Ostergeschichten von diesem Wunder: Man kann den Auferstandenen erleben, mit ihm sprechen, ja sogar: ihn anfassen. Aber fassen kann man ihn nicht (Joh 20,17). Unserem Zugriff entzieht er sich.
Die geistliche Wirklichkeit der Auferstehung – auch unserer ganz persönlichen Auferstehung – spielt sich zwar in dieser Welt ab, in unserem Leib, in unseren Gedanken und Gefühlen, in unserer Seele – aber sie geht darin nicht auf. Offensichtlich sind Verfall und Tod. Und doch erleben wir das geistliche Wunder der Auferstehung sichtbar und spürbar auch hier und jetzt. Verborgen und doch erkennbar. Und dazu noch drei Einblicke.
Allen Schrecknissen und Gemeinheiten zum Trotz und ihnen entgegen gibt es selbstlose Liebe, die sich der Opfer von Krieg und Gewalt annimmt. Von Krieg und Gewalt, die in der Ukraine in ihrer furchtbarsten Form stattfinden, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die ja aber doch leider überall auf der Welt ihre Fratze zeigen. Aber es gibt eben auch die Menschen, die sich aufopfern, die ganz wunderbare, freie und gütige Wege finden, anderen zu helfen. Die ihre Zeit, ihre Ohren und ihr Geld hergeben, um andere zu unterstützen und zu trösten. Das gibt es, und es ist ein Wunder und eine Erfahrung der Auferstehung.
Und es gibt auch die Menschen, die an der Wahrheit festhalten. Was die Wahrheit ist – darum tobt eine der Schlachten dieses Krieges. Manche ziehen sich angesichts der Anschuldigungen und Dementis, der Fake News und Propaganda-Meldungen zurück und fragen wie Pontius Pilatus: Was ist schon Wahrheit? (Joh 18,38) Als ob jeder seine persönliche Wahrheit haben könnte in einem Konflikt, in dem es nicht um Geschmacksfragen geht, sondern um Leben und Tod.
Jesus hält an der Wahrheit fest. Er hält auch uns an der Wahrheit fest. „Wahrlich, wahrlich“, sagt er (Joh 1,51, Mt 5,18 u. ö.) und nennt Schuft und Schänder beim Namen. Er sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) und weist uns damit auf sich als Zeichen der Treue Gottes zu dieser Welt hin.
Wahrheit und Treue sind in der Bibel Wechselbegriffe, das eine steht für das andere. Unser Wort „Amen“ bekräftigt, dass es sie gibt, diese Wahrheit, diese treue Bindung an das Leben und den Willen Gottes. Und auch hier kennen wir Menschen, die sich darauf einlassen, die wahrhaftig leben und sprechen. Die auch die Widersprüchlichkeit und Uneindeutigkeit aller Wirklichkeit aushalten. Die sich den einfachen Parolen verweigern und geduldig das Komplizierte aufdröseln. Die die Lüge entlarven. Und auch das ist eine Erfahrung von Auferstehung im Geist, aber auch im Leib und in der Seele.
Und ein drittes Beispiel für erlebbare Auferstehung: das Recht. Recht ist das Gegenteil von Willkür. Recht ist verlässlich. Recht sucht nach einem Ausgleich. Recht macht sicher und zufrieden.
Wir leben in Deutschland nach bitteren Erfahrungen heute in einem Rechtsstaat. Es ist nicht alles darin perfekt, und auch in der Maschinerie des Rechtsstaates kommt es zu Defekten und Absurditäten. Und wir dürfen die Urteile unsere Gerichte nicht mit dem Urteil Gottes verwechseln, der in seinem Recht noch ganz andere Maßstäbe zu Grunde legt und ein Urteil über uns spricht, über das wir uns nur wundern können. Aber dennoch gilt bei uns Recht, und viele Menschen weltweit beneiden uns um diese Sicherheit, diese Macht. Folter, Bestechung, politische Urteile und unmenschliche Strafen – davon sind wir im Wesentlichen nicht betroffen. Und der Raum, in dem wir das erleben können – der Rechtsraum – ist eine Erfahrung von Lebensmöglichkeiten. Fast wie ein Wunder. Wir können dafür dankbar sein. Und den Menschen danken, die sich jeden Tag neu bemühen, das Recht zu sichern.
Wir haben große Sehnsucht nach Lebendigkeit, nach Liebe und Barmherzigkeit, nach Frieden und Wahrheit, nach Recht und Gerechtigkeit. Und auch wenn es mit unserer Erfahrung dieser Dinge manchmal dürftig ist, weil das geistliche Güter sind und keine natürlichen: Manchmal wird der Schleier doch gehoben, und wir können sehen. Manchmal können wir sehen, was Gott schon jetzt für uns getan hat durch die Auferweckung Jesu von den Toten. Manchmal können wir die Herrlichkeit Gottes sehen: in der aufopfernden Liebe, im Ringen um die Wahrheit, im Recht. Und können getrost Ostern feiern.
Pastor Klaus Kramer
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