02/07/2024 0 Kommentare
Wählt das Leben!
Wählt das Leben!
# Gottesdienste/Spirituelle Angebote
Wählt das Leben!
In den USA haben in der vergangenen Woche Wahlen stattgefunden. In Arizona hatte sich die Republikanerin Kari Lake als Gouverneurin beworben. Im Interview wurde sie gefragt, ob sie eine Niederlage bei der Wahl akzeptieren werde. Sie antwortete: „Ich werde gewinnen und ich werde dieses Ergebnis akzeptieren.“ Dann wurde sie noch einmal gefragt, was sie im Fall einer Niederlage tun werde. „Ich werde gewinnen und ich werde dieses Ergebnis akzeptieren.“
Die Demokratie ist weltweit in Gefahr. Leider auch bei uns. Nur noch 39 Prozent der Ostdeutschen sind mit der Demokratie in Deutschland zufrieden. Vor zwei Jahren lag der Wert noch bei 48 Prozent.
Es werden Parolen in die Welt gesetzt: „Die da oben“ würden nur in die eigene Tasche wirtschaften. Wenn man seine Meinung frei heraus sage, müsse man Nachteile befürchten. Wahlen würden auch nichts ändern, es käme mir doch immer die gleichen ans Ruder. Viele glauben an Verschwörungstheorien, dass die wirklichen Entscheidungen von den großen Konzernen oder – in der antisemitischen Variante – von einer weltweiten jüdischen Verschwörung getroffen würden.
Demokratie ist eine Glaubenssache geworden.
Unser Glaube an Jesus Christus ist demokratisch.
Ich gebe zu, dass das in der Geschichte nicht immer gut erkennbar war. Die Reaktionäre, die nach dem Ersten Weltkrieg gegen die Demokratie gehetzt haben, konnten sich auf starke Unterstützung aus den Kirchen berufen. Obrigkeitsdenken und autoritäre Ideen sind mit der protestantischen Religion eng verknüpft gewesen. Wir haben die Demokratie nicht erfunden, sondern viel zu oft bekämpft.
Dabei ist sind die Gedanken der Beteiligung und Mitbestimmung in unserem Glauben fest verankert. Schließlich sind durch die Taufe alle gleich mit Geist begabt: Männer und Frauen, Inländer und Ausländer, Junge und Alte (Apostelgeschichte 2, 14ff; Joel 3,1-5; Galater 3,25-29; 1. Mose 1,27). Der Geist der Gleichberechtigung durchweht die Bibel von der ersten bis zur letzten Seite.
Als Mose dem Volk die Gebote gebracht hat, die für alle gleich gelten, für die Präsidentin wie für den Bettler, ruft er sie zusammen und legt ihnen dieses Grundgesetz zur Entscheidung vor. Und Gott fleht darum, dass das Volk die richtige Wahl trifft. Gott sagt:
Ich stelle dich heute vor die Entscheidung
zwischen Leben und Tod,
zwischen Segen und Fluch.
Wähle das Leben,
damit ihr lebt,
du und deine Nachkommen!
(5. Mose 30,19)
Wähle das Leben! Wähle!
Ich will auf die komplizierte Diskussion über die Willensfreiheit hier nicht eingehen. Aber als Seelsorger sage ich: Du hast immer eine Wahl. Keine Situation ist so verfahren, dass du nicht so oder eben auch ganz anders damit umgehen könntest. Meistens bietet sich sogar eine ganze Palette an Möglichkeiten. Selbst wenn ich in der Sackgasse stecke, kann ich noch weiter gegen die Wand rennen - oder umkehren.
Und so ist es nicht nur in den persönlichen Entscheidungen, sondern auch in der Demokratie. Ich habe immer eine Wahl, die etwas bewirkt.
Diese Freiheit, eine Möglichkeit zu wählen oder eben auch eine andere, schenkt uns Gott durch Jesus Christus. Jesus Christus befreit uns dazu, eine Wahl zu treffen. Und er bittet uns mit seinem himmlischen Vater: Wählt das Leben!
Deshalb wird Jesus in der Bibel übrigens auch als der ganz andere König gezeichnet. Die Bibel erzählt viele herrschaftskritische Geschichten (z. B. Richter 9,7-20; 2. Samuel 11,1-27). Gott wendet sich gegen die Ausbeuter, die das eigene oder fremde Völker unterdrücken (Exodus 6, 6-8; Jesaja 9,16). Der Maßstab für eine gerechte Regierung ist, wie weit sie zur Befreiung, zur Mündigkeit und Mitsprachefähigkeit aller Menschen beiträgt (5. Mose 17,14ff). Und so macht es Jesus. Er kommt nach Jerusalem nicht auf dem hohen Ross, wie es einem irdischen König gebührt. Er reitet auf einem Esel (Matthäus 21, 1-11). Er ist der König der kleinen Leute. Er spricht mit Frauen und Kindern. Er herrscht nicht über die Leute zu ihrem angeblichen Besten. Jesus fragt sie selbst, was sie denken und brauchen (Lukas 18,41). Er fragt sie nach ihren Krankheiten und Kränkungen, danach, wo sie behindert werden und welche Not sie leiden. Er eröffnet ihnen Möglichkeiten, selbst zu handeln. Er macht die Menschen nicht zu willenlosen Sektenanhängern, sondern zu aktiven, verantwortlichen Nachfolgern.
So geht Regierung, die Gott gefällt. Und ich meine, dass das in der Demokratie, wie wir sie in unserem Land haben, schon ganz gut verwirklicht ist. Zweifellos noch verbesserungsfähig, dazu gleich mehr. Aber in den Grundzügen sind die Bestimmungen unseres Grundgesetzes so, dass sie die Wahlfreiheit abbilden, die Gott uns schenkt.
Demokratie ist eine Glaubenssache.
Unser Glaube an Jesus Christus ist demokratisch.
Nicht Diktatur und Tyrannei, nicht Monarchie oder Anarchie oder Theokratie, sondern Demokratie ist die Form der Herrschaft, die dem Glauben an Jesus Christus am besten entspricht. Innerhalb der Kirche und in der Gesellschaft.
Nun gibt es die Demokratie aber nicht ohne Menschen, die sich für sie einsetzen. Man muss selbst Verantwortung übernehmen. Und wie gelingt uns das? Wie können wir die Demokratie in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft stärken?
Dazu haben Sie sicherlich auch Ideen. Es wäre jetzt eine gute Möglichkeit, herumzugehen und zu sammeln. Denn jeder und jede hat Vorstellungen davon, wie eine Demokratie 2.0 aussehen kann. Wir haben neulich in einem Gesprächskreis zusammengesessen und ein paar Dinge zusammengetragen.
1. Demokratie braucht soziale Gerechtigkeit. Brecht hat gesagt: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Das gilt auch für die Demokratie. Wir müssen die Armut bekämpfen, damit Menschen ihre Wahlfreiheit ausüben können.
2. Ähnlich ist es mit der Bildung. Rattenfänger haben leichtes Spiel, wenn die Menschen nicht zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden können. Lesen, Schreiben, Rechnen sollte man auch können, um nachzuprüfen, was einem erzählt wird.
3. Eine besondere Bildungsanstrengung ist die Debatten- oder Streitkultur. In unserer KiTa treffen sich die Jüngsten regelmäßig, um über ihre Belange zu sprechen. Geleitet wird die Kinder-Konferenz von den Kindern selbst. Und wenn es darum geht, wohin der nächste Ausflug geht, hat nicht einfach die Mehrheit Recht. Sondern es gehört die Frage dazu, wie es der Minderheit geht. Könnt Ihr euch darauf einlassen? Welchen Weg finden wir, damit am Ende alle einverstanden sein können? Demokratie besteht nicht darin, dass ich meinen Willen durchsetze oder sonst ist alles doof. Demokratie ist die Suche nach einem Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen. Und auch die Minderheit hat ihre Rechte.
4. Das ist auch das Prinzip der Inklusion. Inklusion und Demokratie hängen eng zusammen. Es geht dabei nicht um die Verteilung von Almosen. Sondern darum, dass alle Menschen das Recht haben, teilzunehmen - auf ihre Weise. Wir müssen also die Möglichkeiten zur Teilhabe stärken. Niemand ist zu jung oder zu alt, niemand ist zu dumm, um nicht seine Vorschläge einbringen zu können. Je mehr Wortmeldungen, umso besser!
5. Das trägt dann auch zur Glaubhaftigkeit bei. Die demokratischen Entscheidungsprozesse müssen möglichst transparent gestaltet werden. Gekungel hinter verschlossenen Türen, angeblich alternativlose Entscheidungen oder Angstmache und emotionale Überwältigung in der Debatte tun der Demokratie nicht gut. Die Menschen müssen glaubhaft erleben, dass ihre Stimme zählt. Und das geht besonders gut, wenn die Menschen, die öffentlich für die Demokratie eintreten, selber persönlich glaubwürdig sind.
Nicht unfehlbar, wohlgemerkt, denn Menschen machen Fehler, auch im politischen Bereich. Deshalb gehört zur Glaubhaftigkeit auch, dass wir uns schützend vor die stellen, die Verantwortung übernehmen und sie verteidigen gegen unfaire Angriffe.
Sie kennen noch viel mehr Stellen, wo wir uns aktiv für die Demokratie in der Gesellschaft und in der Kirche einsetzen können. Lassen sie uns die Möglichkeiten nutzen, es ist unsere Aufgabe als Christenmenschen.
Unser Glaube an Jesus Christus, an den König der kleinen Leute, ist ein demokratischer Glaube, ein Glaube für das Volk. Alle können Anteil daran haben. Alle können tun, worum Gott uns bittet: Wählt das Leben! Alle müssen beitragen, dass nicht Lügner, Tyrannen oder Kleptokraten uns regieren, sondern wir selbst, Gottes liebe Kinder.
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