Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?

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Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?

Noch während Jesus das sagte, näherte sich eine Truppe. Judas, einer der Zwölf, ging an der Spitze. Er kam auf Jesus zu, um ihn zu küssen. Aber Jesus sagte zu ihm: »Judas, willst du den Menschensohn wirklich mit einem Kuss verraten?«

Da verstanden seine Begleiter, was geschehen sollte. Sie fragten: »Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?« Und einer von ihnen schlug nach einem der Männer, die dem Hohepriester unterstanden. Er hieb ihm das rechte Ohr ab. Aber Jesus sagte: »Lass es damit genug sein!« Er berührte das Ohr und heilte den Mann. 

Lukas 22, 47-51

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? 

Sollen wir die Ukraine mit Waffen unterstützen? 

Unbedingt!

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein abscheuliches Verbrechen. Die Gräuel, die von der russischen Armee in Butscha und anderen Orten verübt wurden, die gezielte Zerstörung ziviler Energie- und Versorgungsinfrastruktur, die Scheinabstimmungen in den besetzten Gebieten - das alles verstößt eklatant gegen Menschen- und Völkerrecht. Es ist eine ganze Kette von Kriegsverbrechen, die allein Russland anzulasten sind. Demgegenüber hat die Ukraine das Recht zur Selbstverteidigung, und daher die Weltgemeinschaft die Verpflichtung, die Ukraine darin zu unterstützen. 

Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Krieg.  Alle Propaganda: In Kiew sitze eine faschistische Regime, das ukrainische Staatsgebiet gehöre seit alters her zu Russland, Russland sei von der imperialistischen NATO umzingelt usw. - fällt auf den Aggressor selbst zurück. 

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? 

Auf keinen Fall!

Noch mehr Militär, noch mehr Waffen - das hat doch noch nie geholfen. Deutschland ist ohnehin schon einer der größten Waffenexporteure der Welt. In vielen Konflikten schießen deutsche Waffen auf beiden Seiten.  Es gab zwar 78 Jahre lang keinen Krieg in Westeuropa. Aber überall anders auf der Welt schon. 

Und, wie die Balkankriege zeigen, auch direkt nebenan. Und gerade diese Kriege in Bosnien und im Kosovo zeigen, dass die Lösung der Konflikte nicht militärisch sein kann, sondern immer nur zivil und diplomatisch. Man löscht das Feuer nicht, indem man Benzin hineinkippt. 

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?

Ja, es ist nötig.

Man kann solche Rechtsbrüche nicht zulassen.  Man kann nicht so tun, als gäbe es etwas zu verhandeln. Als könne man Russland Zugeständnisse machen. Denn was wäre die Folge, wenn die Ukraine jetzt z. B. die Krim abtreten würde? In einigen Jahren fährt Russland eine neue Armee an die Grenze und es fängt alles von vorne an. China wartet nur, wie diese Sache ausgeht, weil es ganz ähnliche Pläne gibt, das demokratisch regierte Taiwan einzunehmen.

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? 

Um Gottes und Jesu Christi willen nicht!

Wir sind als Christ:innen in der Nachfolge Jesu auf den Weg der Gewaltfreiheit gerufen und sollen die Gewalt mit dem Guten überwinden.  Der Logik der Gewalt wird in der Bibel - übrigens nicht erst mit Jesus - die Logik der Gewaltfreiheit entgegengesetzt. „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ (Matthäus 5,39)

In kaum einem Punkt ist die Bibel so eindeutig: Der Gebrauch von Waffen führt in den Untergang. Friedenskirchen wie die Mennoniten haben diese Überlieferung immer wach gehalten. Dietrich Bonhoeffer hat uns erinnert: Frieden und Sicherheit sind Dinge, die nicht erkämpft, sondern im Glauben gewagt werden müssen. Deshalb dürfen wir in den Kirchen nie und nimmer dem Krieg das Wort reden.

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?

Die russisch-orthodoxe Kirche hat diese Frage längst mit einem deutlichen Ja beantwortet. Patriarch Kyrill wähnt sein Land in einem heiligen Krieg. Er sieht den Westen als verkommen und von innen zerstört von Liberalismus und Atheismus. Er meint, es sei recht, wenn die russische Armee mit militärischen Mitteln für traditionelle Werte kämpft. Für die russisch-orthodoxe Kirche stehen die Nation und eine konservative Moral höher als das Evangelium. Sie rechtfertigen die Gewalt mit dem Willen Gottes. 

Wir sehen das anders. Wir schreien nicht: „Gott will es!“ Aber wir müssen uns als Christ:innen nicht nur auf die Seite des Friedens, sondern auch auf die Seite des Rechts stellen. Und als letztes Mittel muss dieses Recht auch mit Waffen verteidigt werden. 

Es stimmt, dass Jesus zur Gewaltlosigkeit aufruft.  Aber diese christliche Überzeugung kann man nicht zur Maxime für andere machen. Ich kann nicht aus meinem Glauben heraus von anderen fordern, sich massakrieren zu lassen. Vielleicht auch deshalb sagt Jesus an anderer Stelle: Wer nichts anderes hat, soll seinen Mantel zu Geld machen und sich dafür ein Schwert kaufen. (Lukas 22,36)

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?

Nein, das ist unverantwortlich.

Deutschland und die NATO werden durch die Waffenlieferungen immer mehr zu relevanten Faktoren dieses Krieges. Aber sie haben kein konkretes Ziel. Worauf soll das Ganze hinauslaufen? Waffenlieferungen bergen die Gefahr einer unkontrollierbaren Entgrenzung des Krieges. Bereiten wir den nächsten Weltkrieg vor? Davor haben viele Menschen berechtigte Angst.

Und wie kommen wir überhaupt von westlicher Seite dazu, die moralisch Überlegenen zu spielen? Ist nicht die NATO ein mindestens so imperialistisches Unternehmen wie Russland oder China? Wie war das, als die NATO wegen angeblicher Massenvernichtungswaffen den Irak überfiel, was sich als Lüge herausstellte? Hat nicht die NATO Gaddafi weggebombt, und das jetzt führungslose Libyen reißt eine ganze Region in den Abgrund? Meint etwa wer, wir im Westen seien die Guten? Und was ist das für eine Scheinheiligkeit, sich jetzt so zu empören, wo die Bombardierungen lediglich einige hundert Kilometer näher gerückt sind?

Und ist nicht doch was daran, dass durch die Nato-Osterweiterung alle Chancen zunichte gemacht worden sind, zu einer friedlichen Koexistenz in Europa zu kommen,  zu einer neuen Friedensordnung, die diesen Namen verdient hätte? 

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?

Wir kommen aus dem Dilemma nicht heraus. 

Aber wir sollten die Ukraine weiter militärisch unterstützen.  Wir müssen Wladimir Putin und seine Regierung nicht dämonisieren, das verlangt das christliche Friedensgebot. Wir müssen auch im Gegner einen Menschen sehen. Und auch diese Menschen handeln in ihrem System rational. Sie folgen einem Kalkül. Die Russen drohen zwar mit dem Einsatz von Atomwaffen, und das ist unmoralisch. Aber sie werden sie nicht einsetzen.

Der Angriff auf die Ukraine ist nicht durch die NATO-Osterweiterung provoziert.  Er ist vielmehr in hohem Maße innenpolitisch motiviert.  Wenn eine Regierung nicht mehr für das wirkliche Wohl ihrer Bürger sorgen kann, dann setzt sie auf Ideologie. In diesem Fall auf eine großrussische Ideologie, die von der Herrlichkeiten vergangener Zeiten träumt, vom Zarenreich und Stalin. 

Putin wirft der Ukraine Faschismus vor, aber in Wirklichkeit ist, wenn man schon mit diesem Begriff operiert, Russland ein faschistisches Regime. Es nimmt für sich eine Opferrolle in Anspruch,  es beruft sich auf eine mythisch überhöhte Vergangenheit, es kompensiert gegenwärtiges Elend durch den Kult von Einheit, Stärke und Reinheit, es ist ultranationalistisch und lehnt liberale Freiheiten ab, es ist unterdrückerisch nach innen und expansiv nach außen und versteht Gewalt als Erlösung. Das ist Faschismus.

Hätte man das nazistische Deutschland gewähren lassen sollen? Viele haben vor dem Krieg gegen die Ukraine an das Münchener Abkommen von 1938 erinnert. Es hat keinen Frieden gebracht.

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?

Wir müssen jedenfalls wesentlich mehr dafür tun, damit es zu einer friedlichen Lösung kommt. Nur das können wir vor Gott rechtfertigen. Deshalb verbieten sich Kriegsgeschrei, Siegesparolen und Triumphalismus. Deshalb dürfen wir Menschen und Machthaber auf beiden Seiten der Frontlinie nicht glorifizieren oder dämonisieren.

Es rächt sich jetzt, dass man auch nach dem Ende des sogenannten kalten Krieges die Möglichkeiten ziviler Konfliktlösung nicht weiterentwickelt hat. Es war eine historische Chance, in einer globalen Umbruchsituation ein neues System der Sicherheit zu etablieren, das auf Zusammenarbeit, Gerechtigkeit und Transparenz beruht. Diese Chance ist verpasst worden. 

In den Kirchen wissen wir schon seit langem, dass es keinen gerechten Krieg gibt. Unser Leitbild muss der gerechte Friede sein. 

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?

Die meisten Jünger fragen noch - und wir auch. Einer der Jünger wartet die Antwort von Jesus nicht ab. Er schlägt einem der Sklaven, die das Festnahmekommando begleiten, ein Ohr ab. Der Hieb des Jüngers trifft den ärmsten unter den Gegnern. Jesus heilt diese Verletzung sogleich, so wie bei den anderen, die unter die Räder der Gewalt kommen. Und er gibt auf die Gewalttat des einen Jüngers und auf die Frage der anderen eine zweideutige Antwort: „Lasst es damit genug sein“. Der Jesus des Lukasevangeliums verurteilt den Versuch, ihn mit Waffengewalt zu verteidigen, nicht. Er unterbricht ihn aber. 

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? 

Das Lukasevangelium sagt, dass es legitim sein kann, sich mit Waffen wehrhaft zu machen. Es erzählt aber auch, in welche Gewaltdynamik ihr Gebrauch führt. Eindeutigkeit klingt anders.

Wir sind heute nicht viel weiter als der Evangelist Lukas.  Wir müssen heraus aus der falschen Ja-Nein oder Schwarz-Weiß-Alternative. Wir stecken im Dilemma und können nur immer wieder versuchen, diese Frage in ihren Konsequenzen durchzugehen:

Sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? 

Wir müssen zu Antworten kommen. Wir können uns nicht nicht verhalten. Aber wir müssen uns eingestehen, wie vieles wir nicht wissen, wie oft wir ratlos sind und am Ende den falschen Weg gehen. Amen.

Pastor Klaus Kramer

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