02/07/2024 0 Kommentare
Alles anders. Gott auch.
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Alles anders. Gott auch.
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Die Welt Gottes solltet ihr mit der Geschichte von einem Mann vergleichen, der im Aufbruch zu einer Reise seine Sklaven rief und ihnen sein Vermögen zur Verwaltung übergab. Dem einen gab er 5 Talente Silber, dem nächsten zwei, dem dritten eins, jedem nach seiner Tüchtigkeit. Dann reiste er ab. Sofort ging der mit den fünf Talenten los, machte mit ihnen Geschäfte und erwirtschaftete weitere fünf dazu. Ebenso er-wirtschaftete der mit den zwei Talenten weitere zwei. Der mit dem einen Talent ging los, grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Besitzers.
Nach langer Zeit kommt der Besitzer dieser Sklaven und rechnet mit ihnen ab. Der mit den fünf Talenten trat herzu und brachte weitere fünf mit den Worten: ›Herr, du hast mir fünf Talente übergeben, hier sind die weiteren fünf, die ich erwirtschaftet habe.‹ Sein Besitzer sprach zu ihm: ›Richtig gemacht, du guter und treuer Sklave. Du warst im Kleinen zuverlässig, ich beauftrage dich nun mit einer großen Aufgabe. Du bist eine Freude für deinen Besitzer.‹ Der mit den zwei Talenten trat herzu mit den Worten: ›Hier sind die weiteren zwei, die ich erwirtschaftet habe.‹ Sein Besitzer sprach zu ihm: ›Richtig gemacht, du guter und treuer Sklave. Du warst im Kleinen zuverlässig, ich beauftrage dich nun mit einer großen Aufgabe. Du bist eine Freude für deinen Besitzer.‹ Auch der mit dem einen Talent trat herzu und sprach: ›Herr, ich wusste, dass du ein harter Mensch bist, der erntet, wo er nicht gesät hat, und einsammelt, was er nicht ausgeteilt hat. Ich bin aus Furcht vor dir losgegangen und habe dein Talent in der Erde versteckt. Hier hast du dein Geld zurück.‹ Der Besitzer antwortete ihm: ›Du böser und fauler Sklave, du wusstest also, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, was ich nicht ausgeteilt habe? Du hättest also mein Geld zur Bank bringen sollen. Dann könnte ich jetzt mein Eigentum mit Zinsen zurückbekommen. Nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem mit den zehn Talenten. Die schon etwas haben, denen wird mehr gegeben, sogar bis zum Überfluss. Die nichts haben, denen wird das Wenige, das sie haben, noch weggenommen. Werft diesen nutzlosen Sklaven in den finstersten Kerker. Dort wird er schreien und vor Todesangst mit den Zähnen knirschen.‹
Wenn aber der Mensch in seinem göttlichen Glanz kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf seinen himmlischen Richterstuhl setzen. Und alle Völker werden sich versammeln und sich seinem Gericht stellen.
Matthäus 25, 14-32, Bibel in gerechter Sprache
Irgendwie müssen wir nach der Lesung zum Halleluja kommen. Das Evangelium ist ja Befreiung, Glück und Aufatmen. Aber das geht schlecht, wenn die letzten Worte der Lesung sind: „Werft diesen nutzlosen Sklaven in den finstersten Kerker. Dort wird er schreien und vor Todesangst mit den Zähnen knirschen.“ Danach singt man nicht Halleluja. Deshalb habe ich den Text um die ersten Worte der nächsten Geschichte erweitert, das ist die Vision vom Weltgericht, in der Jesus sagt: „Was ihr einem meiner geringsten Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan.“ Das beginnt so tröstlich, dass wir darauf Halleluja singen können.
Die andere Möglichkeit wäre gewesen, die Lesung etwas zu kürzen und den Höllenteil wegzulassen. So wird es oft gemacht. Ist ja auch sehr drastisch. Denn so wie wir das Gleichnis von den anvertrauten Talenten kennen, geht es darin doch nur um unsere Begabungen, die wir nicht vergraben, sondern in den Dienst des Evangeliums stellen sollen. Warum wird dann gegen den, der das nicht macht, gleich eine Höllenstrafe ausgesprochen? Das passt doch nicht!
Und es passt auch nicht, wie Gott hier geschildert wird. Es wird von Gott als dem Herrn gesagt: Er ist einer, der erntet, wo er nicht gesät hat, und einsammelt, was er nicht ausgeteilt hat. Einer, vor dem man sich fürchten muss. Einer, der mit seinen Sklaven macht, was er will. Ist das Gott? Da stimmt doch was nicht!
Aber nicht mit der Bibel, sondern mit der Auslegung.
Das ganze Unglück der Auslegung beginnt damit, wenn der Herr des Gleichnisses mit Gott identifiziert wird. Uns scheint ganz selbstverständlich, dass immer da, wo in der Bibel von einem „Herrn“ die Rede ist, Gott gemeint sei. Der hebräische Gottesname wird in den meisten Bibelübersetzungen mit „Herr“ wiedergegeben. Auch Jesus wird im Neuen Testament oft als „Herr“ bezeichnet, griechisch kyrios. So singen wir es in der Liturgie: kyrie eleison, Herr, erbarme dich.
Aber wenn wir den Herrn in diesem Gleichnis mit Gott gleichsetzen, dann wird es irritierend schwer, weil es so ein unberechenbarer, grausamer und ungerechter Herr ist. Dann bleibt uns das Halleluja im Halse stecken.
Wir müssen das Gleichnis aus seiner Auslegungstradition befreien und noch einmal von vorne lesen. Wir müssen es vor den sozialen Gegebenheiten der Zeit von Jesus lesen. Eine der ersten, die das gemacht hat, war die Theologin Luise Schottroff. Wenn wir so lesen, klingen die Sätze anders.
„Die schon etwas haben, denen wird mehr gegeben, sogar bis zum Überfluss,“ heißt es. „Die nichts haben, denen wird das Wenige, das sie haben, noch weggenommen.“ Das ist kein Evangelium! Aber es ist die Beschreibung unseres Weltwirtschaftssystems. In unserem Land werden soziale Ungleichheiten in gewissem Grad ausgeglichen. Aber weltweit sieht das ganz anders aus. Die Profite wandern dahin, wo schon vorher das große Geld saß. Die kleinen Leute gehen leer aus. „Wer hat, dem wird gegeben“ - das könnte man über die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt schreiben. Und zwar nicht als Lob.
Und auch das andere, was vermeintlich über Gott gesagt wird, klingt anders. „Ich wusste, dass du ein harter Mensch bist, der erntet, wo er nicht gesät hat, und einsammelt, was er nicht ausgeteilt hat“, sagt der dritte Sklave. Ist das nicht die Beschreibung derer, die das viele Geld haben, der Kapitalisten, Aktionäre, shareholder, die arbeits- und anstrengungslos immer mehr kassieren? Man sagt, man lasse sein Geld arbeiten, aber alle wissen, dass das nicht stimmt. Es sind Menschen, die dafür schuften müssen, und die Natur, die ausgebeutet wird.
Das war zur Zeit von Jesus nicht anders. Es geht hier um fantastische Reichtümer. Bei den Talenten handelte es nicht im übertragenen Sinne um Fähigkeiten oder ein Vermögen, mit dem Gott uns begabt hat und das wir zum Wohle des Glaubens in die Gemeinde einbringen. Diese Bedeutung gewinnt das Wort erst durch die Fehldeutung dieses Gleichnisses. In der Antike war ein Talent vielmehr eine Gewichtseinheit für Geld. Es entsprach 30 bis 40 Kilo Silber. Der erste Sklave bekommt mit seinen 5 Talenten Silber also 150 bis 200 Kilo Edelmetall anvertraut. Wohlgemerkt nicht zum Besitz, lediglich zur Verwaltung. Das sind umgerechnet etwa 30.000 Denare, und ein Denar war das, was ein Tagelöhner am Tag verdiente. 5 Talente, 30.000 Tageslöhne - aber es sind für den Herren doch nur „Peanuts“, denn bei seiner Rückkehr sagt er, dass er seine Sklaven ja nur „im Kleinen“ testen wollte. Die Erfolgreichen belohnt er später mit den wirklich großen Aufgaben.
Die beiden ersten Sklaven gewinnen zu ihren Talenten jeweils die gleiche Menge dazu. Man sagt „gewinnen“, als hätten sie im Lotto gewonnen. Tatsächlich konnten schon damals solche Renditen nicht durch Arbeit in der Landwirtschaft oder in kleinen Handwerksbetrieben erarbeitet werden. Sie konnten wie heute nur durch Glücksspiel oder eher in der Finanzwirtschaft zustande kommen. In diesem Fall durch Pacht- und Steuereintreibungen, durch die gnadenlose Ausbeutung der Bevölkerung.
Im ersten Jahrhundert gehörte der meiste Grundbesitz einigen wenigen Reichen. 90 % der Menschen gehörten zur Unterschicht und lebten am Rande des Existenzminimums. Wenn die Ernte schlecht ausfiel, mussten sie sich das Geld für neues Saatgut leihen, allerdings oft gegen horrende Zinsen. Schnell saßen die Familien und ganze Dorfgemeinschaften in der Schuldsklaverei.
Die zeitgenössischen Quellen erzählen viel von der Gewalt der Schuldeintreibung. Und die Texte zeigen: Auch die Eintreiber waren oft Sklaven. Das war praktisch für diejenigen, die das Geld besaßen. Die Eintreiber-Sklaven waren abhängig und konnten gefoltert werden, wenn sie versagten. Und wenn sie, wie in unserer Geschichte, erfolgreich waren, konnten sie trotzdem kaum etwas behalten, denn sie waren ja selbst Besitz ihrer Herrschaften. Und jetzt spreche ich die ganze Zeit in der Vergangenheitsform, aber wir haben keine großen Schwierigkeiten, solche Verhältnisse auf die Gegenwart zu übertragen.
Der dritte Sklave, der sein Talent Silber vergräbt, spricht die Wahrheit offen aus. Er weigert sich, bei der Ausbeutung der armen Bevölkerung mitzumachen. Er ist der Held der Geschichte.
Er wird sein mutiges Handeln mit dem Leben oder zumindest mit seiner Gesundheit bezahlen. Und nun vergleicht selbst! Ist das nicht - wie bei Jesus?
Der dritte Sklave macht es, wie Gott es fordert: Bereichert euch nicht am Elend eures Nächsten! Die Ausbeutung durch Wucher ist in Israel verboten. Das Zinsnehmen ist verboten. Spätestens alle 50 Jahre soll verpfändetes Grundeigentum wieder an die ursprünglichen Besitzer gehen, damit jeder bei seinem Weinstock und Feigenbaum leben kann und ein eigenes Einkommen hat. So sieht es das Gesetz Gottes vor.
Die beiden ersten Sklaven verhalten sich dagegen ganz entsprechend den Gesetzen des Marktes. Sie stellen das System nicht in Frage. Sie werden zu Mittätern. Sie bereichern sich an denjenigen, die doch in einer ganz ähnlichen Situation sind wie sie selbst. Was bringt sie dazu? Angst? Habgier? Sind sie loyal zu ihrem harten Herren, weil sie die Hoffnung haben, zu den wenigen zu gehören, die sich selbst freikaufen können aus der Sklaverei? Um den Preis, dass viele andere dadurch erst hinein geraten? Warum macht man bei so etwas mit?
Und woher kommt der Mut des dritten Sklaven, sich zu verweigern und anders zu handeln? Er macht es so, wie der Talmud es empfiehlt, wenn man Geld anvertraut bekommt: Am besten ist, es zu vergraben.
Er hat niemandem Geld abgepresst, er hat niemanden in Schuldhaft genommen, keine Familie von ihrem Land vertrieben, niemandem das Wasser abgegraben. Aber für seine aufrechte Haltung wird er teuer bezahlen. Und er löst das System nicht auf, bald wird ein anderer an seine Stelle treten.
Und doch hat er die Geschichte unterbrochen. Wie die Propheten sagt er die Wahrheit über den ungerechten Herrn und darüber, wie dessen Reichtum zustande gekommen ist. Andere machen mit, dieser Sklave widerspricht.
Gleichnisse sind Unterbrechungsgeschichten. Sie bringen zum Ausdruck, dass es auch ganz anders sein könnte. Und darum geben sie Hoffnung und laden uns ein, Halleluja zu singen.
Es wird nicht alles gut am Ende dieser Geschichte. Es wird ja auch nicht alles gut am Ende der Geschichte von Jesus aus Nazareth, der sie erzählt. Aber der dritte Sklave und so auch Jesus von Nazareth stellen das gegenwärtige System und seine Herrschaften und seine Diener in Frage. Und fordern uns heraus uns zu fragen: Wo stehen wir heute? Wie verhalten wir uns in einem Finanzsystem, das von globaler Ungerechtigkeit profitiert? Haben wir die Kraft, zu widerstehen und uns nicht zu beteiligen? Oder finden wir es ganz gut, wenn wir zu denen gehören, die noch mehr bekommen, weil sie schon so viel haben?
Gleichnisse sind Unterbrechungsgeschichten. Sie zeigen uns, dass Gott geradezu das Gegenbild ist zu dem Herrn, der im Gleichnis so herrisch und rücksichtslos, so grausam und zynisch auftritt. Die Gleichnisse zeigen uns, dass Gott nicht die Verwertung unserer Talente und die Maximierung der Gewinne will, auch wenn sie im Dienste der Kirche stehen.
Gleichnisse erzählen von Momenten, in denen die Gewalt unterbrochen wird. In denen es uns möglich wird, ganz neu von Gott und den Menschen zu denken und unsere bisherigen Schablonen abzulegen. Gleichnisse erzählen von dem Vertrauen, dass Gott ganz anders ist. Sie unterbrechen unsere Wahrnehmung. Und Unterbrechung ist - einem Wort von Johann Baptist Metz zufolge - die kürzeste Definition von Religion.
Alles anders. Gott auch.
Pastor Klaus Kramer
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