„Es waren auch Frauen dabei, die von fern alles mit ansahen.“ (Markus 15, 40)

„Es waren auch Frauen dabei, die von fern alles mit ansahen.“ (Markus 15, 40)

„Es waren auch Frauen dabei, die von fern alles mit ansahen.“ (Markus 15, 40)

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„Es waren auch Frauen dabei, die von fern alles mit ansahen.“ (Markus 15, 40)

Karsamstagsgedanken in Corona-Tagen

Ich wusste, dass dieser Vers da irgendwo steht, in der Erzählung vom Karfreitag. Aber in den vergangenen Tagen ist er mir dann sehr nah gekommen beim Nachdenken darüber, was ich bei der Trauerfeier einer Familie sagen kann, die – wegen des strengen Kontaktverbots – nicht da sein konnte, als die Mutter bzw. die Oma gestorben ist. Liegt in diesem unscheinbaren Vers eine besondere Kraft, die sich denen zeigen kann, die auch heute Abschied nehmen müssen „von fern“? Die Frauen mussten fern bleiben, als der Mensch starb, mit dem sie alles wichtige geteilt hatten, dem sie so viel zu verdanken hatten. Was ist da genau passiert?

Auch diese Erzählung ist, wie die von Noah, nicht einfach in unsere Tage zu übertragen. Trotzdem kann dieser unscheinbare Vers zu einem Trostwort werden für alle, die heute damit leben müssen, dass sie einem sterbenden Menschen nicht nah sein können, obwohl es das einzige ist, was sie sich so sehr wünschen: da sein.

Kann ich alles von fern erleben und trotzdem ganz nah sein? Was merkwürdig klingt, wird vielleicht etwas deutlicher, wenn ich einen zweiten Vers dazu nehme. „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ (Markus 9, 23)

Ich habe diesen Spruch, den Konfirmationsspruch der Verstorbenen, mitgenommen aus dem Trauergespräch mit Tochter und Enkel. Es war mein erstes Gespräch, in dem die oben beschriebene Situation zur Sprache kam: konsequentes Kontaktverbot, bis zum Tod. Natürlich weiß ich um den Unterschied zwischen dem Sterben in der Obhut fürsorglicher Pfleger*innen und Ärzt*innen im Krankenhaus und dem Sterben Jesu am Kreuz, aber darum geht es gerade nicht. Es geht um die Möglichkeit, die erzwungene Trennung zu verarbeiten.

Ich bin Pastor, und weil ich Pastor bin, darf ich und möchte ich formulieren, was eine Gewissheit des Glaubens sein kann: Da sein ist einerseits etwas physisches. Weil das so ist, tut es eben auch so sehr weh, wenn ich in entscheidenden Momenten nicht bei einem Menschen sein, seine Hand halten kann. Das will ich überhaupt nicht wegreden! Andererseits ist „da sein“ aber auch etwas, was darüber hinaus geht, unabhängig davon, ob ich neben jemandem sitze oder fern bin.

Dem, der da glaubt, dem, der darauf vertraut, dass es noch andere Wege zueinander gibt als den leiblichen, dem und der wird es vielleicht möglich, zu entdecken: Ich war ja doch da, obwohl ich mir doch zuerst sicher war, der andere (der, der im Sterben liegt) fühlt sich von mir verlassen, im Stich gelassen. 

Mein Blick geht zurück zu den Frauen. Sie waren, glaube ich, mit diesem Menschen, dessen Sterben sie nur von fern miterleben, so ganz und gar verbunden, dass sie sicher sein konnten: Er spürt ihre Nähe, auch in diesem schweren Moment. Im Johannesevangelium ist ein Wort von Jesus überliefert: „Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Kap. 8, V. 12) Könnte es sein, dass dieses Licht des Lebens immer dann da ist, wenn ich in der innigen Verbindung mit einem Menschen bleibe, egal wie nah oder fern dieser gerade ist?

Wie oft habe ich das schon gesagt bei einer Trauerfeier, und wie lange bin ich mir dessen schon sicher (und das ist inzwischen mehr eine Erfahrung in meinem Leben, mit aller Trauer darin, als eine Pastorenweisheit): Ostern ist nicht der Moment, als die Frauen das leere Grab entdecken, auch wenn wir es so gelernt haben. Ostern ist immer nur der Moment, in dem ich erlebe, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Ostern ist schon im Entstehen, als sich die Frauen mit wohlriechenden Ölen auf den Weg machen zum Grab. Sie wollen den Verstorbenen salben. Das ist der Beginn von Ostern, auch für uns heute, und auch für die, die wegen des Virus nicht nah sein konnten. Mitten in der schlimmsten Trauer bin ich – auch wenn ich alles nur von fern ansehen kann – tief verbunden mit dem Menschen, der stirbt. Und ich bleibe in dieser Verbindung. Immer wieder wende ich mich dem Menschen zu, den ich loslassen muss, mit wohlriechenden Ölen, mit Liebe. Und dann, nur dann, kann uns passieren, was Markus im Osterevangelium beschreibt: Der Stein ist weggerollt vom Grab. Vielleicht fängt er zuerst nur ganz langsam an, sich zu bewegen. Mag sein. Es braucht wohl mehr als drei Tage, bis ich das begreifen kann: Ein Verstorbener ist nun nicht mehr in diesem Leib, der zu Lebzeiten sein zu Hause war, aber er ist noch da.

Pastor Norbert Harms

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