Zur Vernunft kommen

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Zur Vernunft kommen

Gibt es wirklich einen Kurienkardinal, der sich einem Aufruf anschließt, der davor warnt, die Corona-Pandemie würde von einflussreichen Kreisen dafür benutzt, eine Weltregierung zu etablieren, die sich jeder Kontrolle entzieht? Wer denkt sich denn sowas aus? Wollen mich etwa Außerirdische foppen? Ein Kurienkardinal, finde ich, könnte etwas vorsichtiger sein. Er sollte sich immer an der Bibel orientieren: „Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Gegenübers, aber den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht?“ 

Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, ist doch der Vatikan der vielleicht einzige Staat in Europa, der sich konsequent jeder Kontrolle entzieht, und nur das Wort des Papstes gelten lässt.

Ich kann mir gut vorstellen, dass es sich so verhält, wie es Ranga Yogeshwar, ein renommierter Wissenschaftsjournalist und Physiker, erklärt: Nach dieser langen Zeit mit so krassen Einschränkungen werden nun einerseits die immer lauter, die sich nach Erlösung sehnen, die genug haben von der Bevormundung und nun wieder ihr altes Leben leben möchten. Auf der anderen Seite erwachen die, die mit einfachen Antworten daherkommen und sich damit genau als Propheten der kommenden Erlösung präsentieren.

Dazwischen gibt es allerdings Menschen, die in meinen Augen hellwach hinsehen und auf eine Schieflage hinweisen, die tatsächlich besteht: Das Corona-Virus hat in der Politik dafür gesorgt, dass sofort den Wissenschaftlern das entscheidende Wort, und damit auch wesentlicher Einfluss bei Entscheidungsfindungen eingeräumt wurde. Wahrscheinlich hat uns das davor bewahrt, dass in unserem Land nicht schon längst mehr Menschen an Corona gestorben sind. Aber es muss erlaubt sein, zu fragen, warum Politiker bei der Frage nach den Ursachen des Klimawandels, nach den Ursachen nitratverseuchter Böden usw. nicht in gleichem Maß auf die Wissenschaftler hören. Welche versteckten Interessen spielen hier eine Rolle? Diese Frage gehört in die öffentliche Diskussion, und die, die sie stellen, sind weit entfernt von den Verschwörungstheoretikern. Dazu gehört auch die Frage, warum sich Politiker jetzt hinstellen und von den viel zu eng eingepferchten osteuropäischen Schlachthofarbeitern verlangen, dass sie sich an die Vorschriften halten. Schon seit dem Tod von unterbezahlten und von uns kaum wahrgenommenen rumänischen Arbeitern nach einem Brand in einer Unterkunft in Papenburg (2013) lag doch auf der Hand, dass hier – auch ohne Corona – oft menschenunwürdige Zustände herrschen.

Zu welcher Vernunft werden wir kommen? Und wieweit zeichnet sich die Welt von uns Kirchenleuten durch Vernunft aus? Zurück zu Kardinal Gerhard Müller: Zum Glück gab es sofort klare Distanzierungen vom Verschwörungstheorie-Anhänger Müller (wie es in unserer Kirche Distanzierungen von Pastor Latzel gab nach seinem indiskutablen Eheseminar). Aber dahinter taucht doch die Frage auf: Wie funktionieren eigentlich gesellschaftliche Systeme, in denen Menschen sich unbeirrt auf schrägen Wegen befinden, ohne dass sie jemand rechtzeitig zur Vernunft bringt?

Zu welcher Vernunft kommen wir?

Am nächsten Sonntag ist mein Predigttext die Fürbitte Moses, der Gott um Barmherzigkeit für die ihm anvertrauten Menschen bittet (2. Mose 32, 7 – 14). Mose sieht, als er vom Gottesberg herabsteigt, wie sein Volk, also das Volk Gottes, um ein goldenes Kalb tanzt. Der Grund für diese Abkehr von Gott war schlicht die Dauer des Besuchs Moses bei Gott. Zu lange kam keine klare Botschaft, dass Gott wirklich da ist und das Volk beschützt. Zu lange fühlten sich die Menschen allein gelassen (Kapitel 32, Vers 1). So hat sich das Volk eben ein goldenes Kalb gegossen, um es anzubeten. Und die Stellvertreter Moses, also die Stellvertreter des Stellvertreters Gottes auf Erden, waren – in leitender Position – daran beteiligt.

Gut, dass die hebräische Bibel so ehrlich über uns Menschen berichtet.

Wir können viel von ihr lernen. 

Pastor Norbert Harms

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