Lernt, Gutes zu tun (Jesaja 1, 16-17)

Lernt, Gutes zu tun (Jesaja 1, 16-17)

Lernt, Gutes zu tun (Jesaja 1, 16-17)

# Gottesdienste/Spirituelle Angebote

Lernt, Gutes zu tun (Jesaja 1, 16-17)

Macht Schluss mit eurem üblen Treiben; 
hört auf, vor meinen Augen Unrecht zu tun!  
Lernt Gutes zu tun, 
sorgt für Gerechtigkeit, 
haltet die Gewalttätigen in Schranken, 
helft den Waisen und Witwen zu ihrem Recht! (Jesaja 1, 16-17)

Das Böse können wir ganz von allein. 

Um Böses zu tun, müssen wir uns das nicht extra vornehmen. 

Wir brauchen dafür keine besonderen Talente, keine Ausbildung, keine Vorbereitung. 

Das Böse können wir ganz von allein, und das liegt auch daran, dass das, was sich böse auswirkt, in vielen Fällen auf einem Mangel an Überlegung beruht. Und sich etwas nicht zu überlegen, fällt ja nicht weiter schwer. 

Das Böse entsteht zumeist aus Unbedachtheit. Es hat seine Ursache in mangelnder Reflektion. Es kann passieren, weil uns die Einsicht fehlt. Der Kirchenvater Augustin spricht davon, dass das Böse ein Nicht-Seiendes sei, etwas, das im Grunde gar nicht existiert. Ich würde sagen:  Das Wissen um die Folgen unseres Handelns fehlt uns. Böse ist zumeist nicht Absicht, sondern die Auswirkung unseres nicht existenten Weitblicks.

Das üble Treiben, das Unrecht, die Beleidigung, das Übervorteilen… das tut sich wie von selbst. Das Gute dagegen – müssen wir lernen.

Wilhelm Busch hat gesagt: „Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt.“ Aber was ist es genau, was gut ist? 

Was genau ist jetzt gut in der Pandemie? Was soll die Regierung unternehmen? Wie sollen wir uns verhalten? Was ist gut im Blick auf die Umwelt und das Leben zukünftiger Generationen? Was ist gut gegen den Hass, was hilft zu Frieden und Gerechtigkeit? Was ist gut für mich in meiner persönlichen Situation, was ist gut für die Menschen, mit denen ich zusammen lebe?

Was gut ist, lässt sich nicht ein für alle Mal sagen. Es hängt davon ab: Von der Zeit, dem Ort, den Personen, der Vorgeschichte und vielen anderen Faktoren. Was in der einen Situation ein vorbildliches, gerechtes Handeln ist, wäre zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort eine schlimme Verfehlung.

Und weil wir nicht ein für alle Mal wissen, was gut ist, müssen wir es lernen. 

Aber wir können es nicht auswendig lernen wie eine Liste, die wir herunterbeten können. Wir müssen lernen, die Situation zu beurteilen, die Zeichen der Zeit zu sehen. Wir müssen Maßstäbe kennen lernen, anhand derer wir entscheiden können. Wir müssen die Unbedachtsamkeit durch Einsicht ersetzen. Und das blinde Tun durch vernünftiges Handeln.

Man kann sich angesichts des Zustandes der Welt durchaus fragen, ob die Menschheit überhaupt jemals etwas lernt. „Aus Fehlern wird man klug“, sagt man, aber an diesen Satz kann man Zweifel haben.  „Das Gedächtnis der Menschheit / für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. / Ihre Vorstellungsgabe für kommende / Leiden ist fast noch geringer“, hat Bert Brecht nach dem zweiten Weltkrieg gedichtet. Stecken wir nicht in den immer gleichen Mustern fest? Niemand kann aus seiner Haut. Wie schwer fällt es, etwas, von dem wir wissen, dass es nicht gut ist, zu lassen. Das gilt nicht nur für die Raucher.

Und doch bin ich überzeugt - ich glaube -, dass wir Menschen lernfähig sind. Gott hat uns so geschaffen, dass wir Neues aufnehmen können, dass wir uns neuen Situationen stellen und Entscheidungen treffen können. Wir sind ja nicht die Spielbälle eines blinden Schicksals und kugeln durch die Weltgeschichte, als seien dumm. Nein: wir können etwas lernen. 

Und wir sollen etwas lernen. Das Gute nämlich sollen wir lernen. Das Gute müssen wir sogar lernen, weil es sich nicht von selbst ergibt.

Und wie lernt man etwas? 

Albert Einstein hat gesagt - einer meiner Lieblingssätze - : „Es gibt keine bessere Erziehung, als Vorbild zu sein. Wenn es nicht anders geht: ein schlechtes.“ Tatsächlich ist das Nachahmen eine der wichtigsten Möglichkeiten, etwas von der Welt zu begreifen. Wer sich in unserer Kita umsieht, weiß, wie das geht. Die jüngeren Kinder orientieren sich am Vorbild der älteren. Die älteren ahmen die Erwachsenen nach. So wird etwas weitergegeben davon, wie man es machen kann. Und je öfter das Vorbild ein gutes Vorbild ist, desto besser gerät das Ganze. Und sei es - um Einstein aufzunehmen - in der Abgrenzung zu einer Tradition, die man jetzt nicht fortsetzen will.

Wenn es kein Vorbild gibt oder wenn man auf das Vorbild gerade keine Lust hat, kann man es auch „einfach machen“. Man sieht sich die Dinge an - besser länger als zu kurz -, man entwickelt einen Plan oder geht ganz spontan an die Sache heran und „macht einfach“.  Ausprobieren ist immer eine Möglichkeit, manchmal die einzige.

Diese Art von Lernen im Vollzug liegt allerdings in der Nähe des augustinischen Nicht-Wissens und birgt das Risiko, dass man scheitert. Das ist nicht so schlimm, wenn dabei nur ein Glas zerbricht. Aber das Lernen im Vollzug kann natürlich erhebliche Schäden im zwischenmenschlichen Bereich anrichten: Wenn das Glück zerbricht. Trotzdem können wir auf diese Art des Lernens nicht verzichten, denn wir stehen ja immer wieder in Situationen, für die es keinen Masterplan gibt. Wir sollten dabei, so gut es geht, darauf achten, dass sich, was wir tun, nicht nur gut anfühlt, sondern wir vernünftigerweise für uns und andere gute Folgen erwarten dürfen. Trotzdem ist es so, wie Gesundheitsminister Spahn sagte: „Wir werden uns viel zu verzeihen haben.“

Ein ganz wesentlicher Teil des Lernens ist schließlich das Üben, das wissen nicht nur die Musiker. Wieder und wieder muss man die Dinge durchgehen, bis sie so sicher sitzen, dass man sie auch im Schlaf kann. Das Üben empfinden wir manchmal als etwas mühevoll und haben nicht so viel Lust darauf. Vermeiden lässt es sich nicht, auch wenn es darum geht, zu lernen, das Gute zu tun. 

Es wird einfacher, wenn wir es uns einteilen. Regelmäßig wenige Minuten Vokabeltraining am Tag bringen viel mehr, als unmittelbar vor Klassenarbeiten stundenlang zu bimsen. Und es gibt Bereiche, da hört das Üben nie auf, weil sonst die ganze Fähigkeit entschwindet. Im Sport ist das so. Aber auch bei der Liebe. Deshalb sagen wir ja: wir üben Nächstenliebe. Obwohl wir sie doch eigentlich längst können.

Zwei ganz wichtige Aspekte für das Lernen sind noch Motivation und Erfolg. Ein starker Antrieb dafür, sich einer Sache zuzuwenden und sie zu lernen ist der Gewinn, den ich davon habe. Ich erwerbe neue Fähigkeiten, mein Handlungsspielraum wird größer. Ich erlebe mich in einer aktiven Rolle und stelle mit Freude fest, dass mein Handeln Folgen hat. (Manchmal stelle ich das auch mit Bestürzung fest, aber auch daraus lässt sich ja lernen.) 

Die Erfahrung der Wirksamkeit ist ein großer Motivator für unsere Lernprozesse. Wir sollten uns von niemandem die Überzeugung nehmen lassen, dass wir Einfluss auf die Dinge haben und mitreden und mitentscheiden können.  Niemand sollte sich selbst für ohnmächtig deklarieren. Vielleicht ist der Rahmen unserer Möglichkeiten sehr beschränkt. Und immer wieder scheitern wir auch. Aber jeder und jede kann immer neu für sich in seinem, in ihrem Bereich etwas bewirken. Etwas lernen. Und damit auch das große Ganze verändern.

Das Böse tut sich leider wie von selbst. Das Gute müssen wir lernen. Denn es steht ja nicht ein für alle Mal fest, was das Gute genau ist. Wie wir für Gerechtigkeit sorgen, wie wir die Gewalttätigen in Schranken halten, wie wir für die Schwächsten in unserer Gesellschaft einstehen: das müssen wir immer wieder neu durchdenken und diskutieren. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass Frieden, Nächstenliebe oder Barmherzigkeit von selbst und ohne unser Zutun wachsen. Wir müssen immer wieder neu begreifen, was diese Werte vorantreibt und was sie hindert. 

Glücklicherweise hat Gott jeden von uns durch seinen Heiligen Geist mit ausreichend Grips ausgestattet, um diese lebenslange Aufgabe zu verbringen. Wir können lernen, egal, wer wir sind und woher wir kommen - und auch noch im hohen Alter. Wir ahmen das gute Vorbild anderer nach oder setzen unseligen Gewohnheiten ein Ende. Wir probieren neue Dinge aus und schauen darauf, welche Erfahrungen wir damit machen. Wir machen uns die Folgen unseres Tuns für uns und für andere bewusst und lernen daraus, wie wir es das nächste Mal noch besser machen. 

So schwindet, was nicht ist. 

Und so wächst, was Gott von uns will.

Amen

Pastor Klaus Kramer

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