02/07/2024 0 Kommentare
Gottlos im Garten
Gottlos im Garten
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Gottlos im Garten
"*36 Dann kommt Jesus mit ihnen an einen Ort, genannt Gethsemane, und er spricht zu den Jüngern: Setzet euch hier, bis ich hingegangen bin und dort gebetet habe. *37 Und er nahm den Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus mit, und fing an betrübt und beängstigt zu werden. *38 Dann spricht er zu ihnen: Meine Seele ist sehr betrübt bis zum Tode; bleibet hier und wachet mit mir. *39 Und er ging ein wenig weiter und fiel auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an[A] mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst. *40 Und er kommt zu den Jüngern und findet sie schlafend; und er spricht zu Petrus: also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit mir zu wachen? *41 Wachet und betet, auf daß ihr nicht in Versuchung kommet; der Geist zwar ist willig, das Fleisch aber schwach. *42 Wiederum, zum zweiten Male, ging er hin und betete und sprach: Mein Vater, wenn dieser Kelch nicht [an mir] vorübergehen kann, ohne daß ich ihn trinke, so geschehe dein Wille. *43 Und als er kam, fand er sie wiederum schlafend, denn ihre Augen waren beschwert. *44 Und er ließ sie, ging wiederum hin, betete zum dritten Male und sprach dasselbe Wort. *45 Dann kommt er zu den Jüngern und spricht zu ihnen: So schlafet denn fort und ruhet aus; siehe, die Stunde ist nahe gekommen, und der Sohn des Menschen wird in Sünderhände überliefert. *46 Stehet auf, laßt uns gehen; siehe, nahe ist gekommen, der mich überliefert."
Also mir juckt es ja gehörig in den Fingern – Ihnen ja vielleicht auch? Seit Tagen, ja fast schon wochenlang scheint uns jetzt die Sonne entgegen und ich spüre: Ich will raus! Raus in den Garten. Ich will graben, säen und pflanzen. Ich will den Winter hinter mir lassen. Ich will die Zeugnisse der Sturm-Wochen wegräumen. Fort mit dem toten Holz auf dem Rasen, weg mit dem grauen und braunen Laub vom letzten Jahr. Ich will es grün sprossen und bunt blühen sehen. Noch halten mich die leicht frostigen Nächte zurück. Aber vielleicht nächste Woche schon … . Ich merke, wie es sich in mir aufstaut. Ich stehe am Fenster, ich kann noch nicht anfangen – aber ich kann ja schonmal drinnen einiges vorziehen. Ich habe mir auch schon Lektüre aus der Bücherei besorgt mit Tipps und Tricks. So stehe ich am Fenster und denke und plane und bereite vor. Egal ob Balkon oder Garten hinterm Haus: Ich will raus!
So lese ich die Geschichte von Jesu letzter Nacht in Freiheit mit einer Grundsympathie: Garten Gethsemane stelle ich mir toll vor: Klar, unser Heiland ist in schweren inneren Nöten, aber es war bestimmt ein lauschiger Abend und der Rasen auf dem er kniete war bestimmt weich. Ja, die Jünger waren schwach, aber ich verstehe sie, so schön müssen die Blätter gerauscht und die Grillen gezirpt haben. Und natürlich kommt am Ende der große Verrat, aber eben umringt von Rosenduft. Ich kann nicht anders, schon gar nicht nach so viel verlockender Sonne in den letzten Tagen: Dass die Szene in einem Garten spielen soll wehrt sich bei mir entschieden gegen eine totale Dramatik der Geschichte.
Die Bibel führt mich Draußen-Hungrigen insgesamt öfter an wunderbar grüne Orte: Ich denke ans Paradies, einen Garten direkt aus Gottes Händen, malerisch geschmiegt zwischen die Ufer zweier Flüsse voller Ur-Bäume mit reifen Früchten. Ich denke an das Volk Israel wie es in Ägypten an den wasserreichen Ufern des Nils mit seiner üppigen Vegetation wohnte. Immer wieder werden Weinberge besungen, deren Reben voller süßer Trauben hängen. Oder es führt mich in die schattige Ruhe von Olivenhainen.
Nicht nur jetzt in diesen Tagen, da die Sonne mich und vielleicht auch Sie nach draußen zieht, stehen diese Gärten auf ihre Art für eine Verheißung: Grün und sprießend symbolisieren sie das Leben. Nicht das chaotische, impulsive Leben, sondern das geordnete Wachsen und Gedeihen. Wohl verzogen in der Reihe mit genügend Licht, das die verschnittenen Bäume und Sträucher durchlassen, wächst es heran, wahlweise zur Wonne oder zur Pracht. Und rührt mich dieses Wunder nicht immer wieder an, doch an einen Gott hinter jener Schöpfung zu glauben?
Das Schönste dabei ist: Ich habe es wortwörtlich selbst in der Hand. Licht und Luft sind da, Wasser ist leicht zu besorgen. Es fehlt im Grunde einzig mein Wille, dass das Sprießen, Blühen und Gedeihen seinen Lauf nimmt. Mein Wille – und ein bisschen Glück mit dem Wetter. Im Garten bin ich meines eigenen Glückes Schmied – meines eigenen Glückes Gärtner. Wenn ich nur fleißig gieße, harke, verschneide und Unkraut ziehe, dann kann ich mir mein Abbild von Gottes schöner Welt ziemlich sicher auf meinen Balkon oder in meinen Garten holen.
Weniger schön daran ist: Wenn ich dann verdient nach der schweren Arbeit meinen Liegestuhl raushole, die von mir geschaffene Wonne und Pracht zu genießen, und auf die irre Idee komme, zur Muße nochmal genauer in meine Bibel zu schauen, muss ich feststellen, dass das Gartenidyll ein Schnellschuss war. Nach der Erzählung vom Paradies folgt die Geschichte vom Biss in die verbotene Frucht samt Schließung des paradiesischen Gartens – für immer. An den fruchtbaren Ufern des Nils lebte Israel in Gefangenschaft und musste furchtbar schwere Arbeit auf staubigen Baustellen verrichten. Die Weinberge werden zu Symbolen der Verwüstung oder sind Orte betrügerischer Machenschaften. Die Reben vertrocknen, so wie die Olivenhaine veröden. In Gethsemane verpennen die Jünger allesamt die Not Jesu. Es folgt sein Kreuzweg durch die sengenden Straßen der Stadt und seine Hinrichtung auf dem Berg, den sie Schädelstätte nennen, den ich mir nicht anders vorstellen kann als ein lebloses Nebeneinander von rauen Steinen und nackten Knochen und ohne jede Spur von Grün oder Leben.
Die Gärten der Bibel sind nicht die Orte an denen die Menschen Gott näher kommen. Ganz im Gegenteil zur Wüste. In der Wüste, so die Erzählung, lernt Israel, Gott zu vertrauen. In einem Dornenbusch offenbart er seinen heiligen Namen, auf einem Berg gibt Gott die Zehn Gebote. In 40 Jahren Wüstenzeit muss Israel sich bewähren und merkt: Im Vertrauen auf Gott allein erwächst sein Leben. Jesus selbst wird in der Wüste durch den Teufel bedrängt und versucht – er bewährt sich, am Ende dienen ihm die Engel. Auch die großen Idole der frühen Christenheit waren keine wohlhabenden Gartenkünstler*innen, sondern Eremiten: Mönche, die in der Wüste lebten und ihre Erfahrungen zwischen Anfechtung und Kraft im Glauben zu Buche brachten.
Die Zusammenfassung ist, dass biblisch gesehen die Wüste der religiös eindeutig produktivere Ort ist. Wenn ich Gott suche, so legt mir die Schrift sehr nahe, meine Liege aufzugeben und meinen Garten hinter mir zulassen – zugunsten der Wüste. Denn nicht der Ort, an dem ich es vermeintlich selbst in den Händen habe, bringt mich weiter. Der wiegt mich nur in falscher Sicherheit: Ich bin nie alleine meines Glückes Schmied. Das merke ist spätestens dann, wenn mir nach aller möglicher Anstrengung doch die Blattläuse die Rose und Wühlmäuse die Möhren wegfressen. In der Wüste dagegen zählt meine eigene Leistung nicht. Dort, im echten draußen, bin ich angewiesen. Auf andere. Auf Gott. Es zählt nicht, was ich will. Nicht, was ich kann und mache. Es zählt, was ich empfange. Deswegen ist die Wüste biblisch ein so produktives Symbol, weil sie die Voraussetzung schafft, dass Gott handeln kann. Es zählt das Gute, das ich von ihm bekomme.
So erzählt es auch die Szene, die sich im Garten Gethsemane abspielt: Die Jünger, die törichten Gartenliebhaber wie ich, erliegen dem weichen Rasen, der lauen Luft und dem sanften Blätterrauschen. Sie schlafen. Sie verschlafen den wichtigen Moment, das Vorbildliche, als Jesus betet: Nicht wie ich, sondern wie du willst. Nicht meine Bequemlichkeit, auch nicht meine Macht zählt. Die Geschichte zwischen Gott und den Menschen geht nur in der Wüste weiter, auf dem Kreuzweg und auf Golgatha, nicht im Garten.
Ich will raus, gerade in diesen Tagen – Sie vielleicht auch. Ich muss sogar raus, raus aus der Bequemlichkeit und der Sicherheit der eigenen Fähigkeiten und Willensstärke. Gern in den Garten, meinetwegen. Aber eben nicht nur. Aber eben noch weiter raus. Denn allzu oft ziehe ich mich in meinem Garten nur zurück vor den Wüsten, die auf der anderen Seite meines Hauses auf mich warten. Dort sind sie alle versammelt, vor denen ich so gern Ruhe hätte: Krieg, Pest und Verantwortung. Ich muss da raus. Ich muss dort hinaus.
Denn das ist die letzte Lehre, die ich heute ziehen kann: Die Wüste ist eben nicht nur unbequem und herausfordernd, sie ist auch der Ort, an dem ich Gott dann auch finde. Wenn ich selbst nicht säen, ziehen und ernten kann, sondern ausgeliefert und offen bin, dann offenbart sich Gott auch. So wie seinem Volk in der Wüste. Wie den Eremiten in der Antike. So wie dem römischen Hauptmann auf Golgatha aufgeht: Das ist Gottes Sohn gewesen. Es verhält sich ganz so, wie wir es vorhin von Paulus gehört haben: "Wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, 4 Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung." (Röm 5)
Amen.
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