
02/07/2025 0 Kommentare
Gutes essen - Predigt in der Martin-Luther-Gemeinde am 29. 6. 2025
Gutes essen - Predigt in der Martin-Luther-Gemeinde am 29. 6. 2025
# Gottesdienste/Spirituelle Angebote

Gutes essen - Predigt in der Martin-Luther-Gemeinde am 29. 6. 2025
Gott gibt sich die Ehre, uns einzuladen, und ich will hoffen, dass Sie mit Hunger kommen, damit es für Gott eine Ehre wird und keine Peinlichkeit. Und andererseits hoffe ich, dass Ihr Hunger jetzt nicht zu groß ist, wenn ich aufzähle, was da alles auf dem Tisch steht zu einem zweiten Frühstück.
Da gibt es herzhaftes Schwarzbrot und krosse Brötchen, selbst gekochte Erdbeer-Marmelade, Honig und für mich unbedingt noch Schokostreusel. Camembert und Gouda, Ziegen- und Frischkäse, Hummus und Feigen, Paprika und Gurken in appetitlichen Scheiben, natürlich alles bio. Das Rührei brät Ihnen ein junger Mann, der zwar selbst kein Schweinfleisch isst, Ihnen aber gern Speck hinzufügt. Fairer Kaffee, Schwarz- und Kräutertee, vielleicht wird ein Gläschen Trauben-Secco gewünscht? Und die Kerzen leuchten und das Silber glänzt - herzlich willkommen, bitte Platz nehmen! „Das ist aber eine nette Gesellschaft hier!“
So ist das, wenn Gott kommt.
Nein, ich muss noch hinzufügen: Diesen reich gedeckten Tisch gibt es umsonst, kostenlos, gratis. Sie müssen dafür nicht ihr Konto plündern, Sie brauchen nur diese Einladung, die Sie bekommen haben - wie die anderen hier, die auch alle von unserem charmanten und aufmerksamen Gastgeber eingeladen sind. Und nach dem Essen stehen Sie einfach auf, sagen „Danke“ und hören: „Es war mir eine Freude, bis zum nächsten Mal!“
So ist das, wenn Gott kommt. Wenn unser Gott das Sagen hat. Wenn wir nicht mehr für alles mit kläglichen Euros zahlen und unsere dürftigen Verdienste zusammenrechen, sondern ganz auf die Gnade und Barmherzigkeit vertrauen. Es ist das Schlaraffenland, von dem Jesaja erzählt:
Auf, ihr Durstigen, hier gibt es Wasser!
Auch wer kein Geld hat, kann kommen.
Kommt, kauft euch zu essen! Kommt und kauft ohne Geld!
Wein und Milch – sie kosten nichts.
Warum wollt ihr Geld ausgeben für Brot, das nicht wie Brot schmeckt?
Warum wollt ihr euren mühsam verdienten Lohn für etwas vergeuden, das nicht satt macht?
Hört doch auf mich, dann bekommt ihr Gutes zu essen und könnt köstliche Speisen genießen.
Hört mich an und kommt zu mir!
Hört, dann lebt ihr auf!
Ich will mit euch einen Bund schließen, der für immer besteht.
Was ich David für immer versprochen habe, gilt auch für euch. (…)
Ihr werdet Leute herbeirufen, die ihr nicht kennt.
Und Leute, die euch nicht kennen, kommen herbei.
So will es der HERR, euer Gott, der Heilige Israels.
Er lässt euch diese Ehre zuteil werden.
Natürlich, so ist es ja gar nicht. Schau dich doch nur mal um, geh mal nach draußen vor die Kirche und sieh hin. Menschen ohne Wohnung, die ihr Leben auf der Straße fristen. Es verhungert keiner, aber es ist doch ein täglicher Kampf und eine harte Arbeit, etwas zu essen zu bekommen und sich dabei einen Rest an Würde zu bewahren.
Und sieh dich um in der Welt: 9% der Weltbevölkerung haben nicht genug zu essen, die würden sich über ein Hundertstel unseres Frühstückstisches freuen, oder auch nur über ein Glas gesundes Wasser. Und viele davon werden übrigens aus politischen Gründen von Nahrungsmitteln abgeschnitten, nicht nur in Gaza.
Das kann man gar nicht wegreden, soll man auch nicht. Wir sind hier nicht auf der Flucht in das Land der Verdrängung.
Aber - das andere brauchen wir eben auch. Und das andere sind nahrhafte Gegengeschichten zu unserer hungrigen Welt. Das sind mutige Widerstandgeschichten gegen die Seuche des Bösen. Das sind kritische Storys von Leuten, die nicht daran glauben, dass der Markt schon alles richten wird. Das sind fröhliche Rebellengeschichten von denen, die rufen: Jetzt sind wir auch mal dran. Das sind unsere Geschichten, mit denen wir die Welt verändern. Geschichten, die man essen kann.
Das überladene Büffet, das vor unserem inneren Auge erscheint, ist ein Sinnbild der Gnade. Wir bekommen serviert, was wir gar nicht verdient haben. In spätkapitalistischen Zeiten hat der Markt ja alles durchdrungen, auch unsere Liebesbeziehungen und unsere Familienbande. „Was bringt mir das, was will ich in diese Beziehung noch investieren?“, fragen wir uns mit Blick auf den Partner. „Wie kann ich die Erziehung meiner Kinder optimieren?“ usw. Und immer wieder stellen wir uns die Frage: „Womit habe ich das verdient?“ Besonders, wenn es schlecht kommt.
Nein, du hast gar nichts verdient. Niemand hat irgendetwas verdient, jedenfalls nicht von dem, worauf es ankommt. Denn meint irgendjemand, man können sich Gesundheit, Wohlbefinden, Ausgeglichenheit, Freude oder gar Liebe verdienen? Oder etwa das Mitgefühl Gottes? Ein gutes Gewissen?
Wir stellen ja allerhand her, neuerdings auch mit dieser schrecklichen KI. Aber Glaube, Liebe, Hoffnung sind Dinge, die kann man nicht produzieren. Man kann sie auch weder kaufen noch verkaufen. Sie taugen nicht als Investment und tragen keine Zinsen. Sie unterliegen anderen Wirtschaftskreisläufen und man muss, wenn man sie über die Grenze zum anderen Menschen bringt, gottlob auch keine Zölle dafür zahlen.
Die Bibel ist voll solcher Geschichten von der fröhlichen Wirtschaft, in der das Geld keine Rolle spielt, aber die Barmherzigkeit. In der nicht der Nutzen wichtig ist, den jemand bringt, sondern sein Charakter. In der die Menschen nicht Mittel für irgendwelche Zwecke sind, sondern eine Würde haben. Allein aus Gnade, so funktioniert das bei Gott, das hat Luther erkannt. Ohne Verdienst, ohne Wohlverhalten, ohne moralische oder religiöse Leistung.
Weswegen im Gleichnis (Lk 14,15-24) ja gerade die zu Tisch gebeten, nein: genötigt werden, die gar nichts vorzuweisen haben. Das macht es denen, die da schon sitzen, womöglich etwas ungemütlich, sie rümpfen die Nase und sagen: „Die von draußen, die stinken aber ziemlich.“ Und das ist auch so und überlagert etwas die Freude an unserem Büffet. Aber wenn wir recht hinschauen, unterschieden wir Menschen uns nicht darin, dass wir alle mehr oder weniger Waschlappen-bedürftig sind. Aber alle gleich aufgefordert sind, an dieser freien Gnade Gottes teilzunehmen, uns einladen zu lassen und basta.
Hat Luther diese evangelische Botschaft erfunden? Nein, natürlich nicht. Hätte Luther auch nur einziges Mal einen Synagogengottesdienst besucht, hätte er vielleicht auch da die schöne Gegen-Geschichte aus dem Jesaja-Buch gehört. Und er hätte vielleicht dankbar und demütig erkannt, dass fast alles, was ihm am Herzen lag, auch im jüdischen Gottesdienst gepredigt wurde und wird. „Alles ist Gnade, ihr müsst euch Gottes Liebe nur gefallen lassen“ - das haben nicht erst Jesus, Paulus und Luther gelehrt, das war schon immer Kern des jüdischen Glaubens.
Aber mit dem Zuhören ist das so eine Sache, nicht nur bei Luther. Es ist ein Problem, wenn unsere Ohren schon voll sind von dem Geraune unserer Echokammern. Es ist ein Problem, wenn unser Bauch schon voll ist, wenn wir zum Essen geladen sind. Es ist ein Problem, wenn unsere Herzen und Gedanken schon besetzt sind von so vielem. Auch von so vielem, worin wir meinen, ganz genau Bescheid zu wissen und unsere Meinung haben und uns auf keinen Fall davon abbringen lassen. Aber: „Hört, Hört auf mich! Hört, dann lebt ihr auf!“, sagt Gott.
Es ist ja ganz einfach: Was nicht leer ist, kann auch nicht gefüllt werden. Und wenn diese Geschichten bei uns wirken sollen, dann müssen wir erst von unseren Vorurteilen und Einstellungen ablassen und von manchem, was uns ganz sicher scheint.
Deshalb hatten Jesaja und die Propheten und Jesus solche Schwierigkeiten und Anfeindungen zu ertragen: Was sie zu sagen haben, entspricht nicht dem, was bürgerliche Sattheit sich als Beruhigung und Verschönerung des Lebens erwartet. Sie stören auf mit ihren Geschichten. Und darum heißt es: Hört! Hört! Hört!
Die freundliche Zuwendung Gottes in Form von Gnaden-Büffets nennt man auch „Bund“. Es ist ein Bund, den Gott geschlossen hat - zuerst mit David. Sie wissen: Der große König, der es vom Hirtenjungen zum Israel-Herrscher gebracht hat. Aber - angesichts einer Tafel, die eines großen Königs würdig wäre, geschieht das, was in der Bibel noch oft geschehen soll: Gott lädt nicht nur einzelne begnadete Männer wie David ein, Platz zu nehmen - sondern das ganze Volk. Alle sollen teilhaben an dem schönen Essen. An den aufmunternden Gesprächen. Und an der Macht.
Der Gott, an den wir glauben, musste sich allerdings schon viel ärgern über die Menschen, die immer nach oben schielen und auf jemanden warten, der die Sache für sie in die Hand nimmt und über sie bestimmt und dem sie dann die Schuld geben können, wenn es nicht so gut läuft. Lauter fügsame Leute, die immer mitmachen, wenn es nur von einer Autorität angeordnet ist. Außer es geht schief, dann sind sie natürlich immer schon dagegen gewesen. Über solche Menschen ärgert sich Gott, und deshalb zeigt er uns an diesem Tisch, wie es anders geht.
Gott glaubt nicht mehr an einen König. Gott glaubt an Euch.
Gott glaubt an das Volk, und deshalb lädt er jetzt alle, aber auch wirklich alle ein, sich den Bauch mit Köstlichkeiten vollzuschlagen und teilzuhaben an all dem, was das Leben zu bieten hat. Ein bisschen so wie zuletzt in Syrien, als die Menschen nach dem Sturz von Assad seine Paläste stürmten und den Luxus bestaunten. Ein bisschen so macht es auch Gott, nur nachhaltiger. Und verantwortlicher.
Gott demokratisiert die Hoffnung.
Im Bund mit Gott und weil er uns alles gibt, was wir wirklich brauchen, können wir die Dinge tun, die Könige und Königinnen zu tun haben: Den Weisungen Gottes zu folgen und für Recht und Frieden einzutreten. Für andere hilfreich und nützlich sein. Die Gräben und Grenzen zu überwinden. Die Einladung Gottes an seine Tafel drückt uns nicht nur Messer und Gabel in die Hand, sondern auch die Verantwortung für unsere ganze Welt. Aber mit diesem Zuspruch können wir sagen: „Wir schaffen das!“
Nicht umfassend und überall und sofort, nicht fehlerfrei, und auch nicht immer einig, wie es genau geht - es gibt auch da Eitelkeiten, blinde Flecken, Enttäuschungen usw. Aber so, dass wir dennoch Zeichen setzen, wie es im Reich Gottes zugeht. Mit den Tafeln, oder, in unserer Gemeinde, mit dem Fair-Teiler, wo Lebensmittel Abnehmer finden, die sonst weggeworfen würden. Oder der Mittagstisch und die verschiedenen Koch-Aktionen oder auch der Kirchkaffee, zu dem wir einladen. Und so vieles andere, das bei uns stattfindet, das Menschen Nahrung gibt für die Seele und sie dazu ermächtigt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, statt ihre Ängste, Erwartungen oder irgendwas anderes darüber herrschen zu lassen.
Und jetzt noch - ich komme zum Ende meiner Tischrede - ein Gedanke, mit dem wir uns den Menschen links und rechts zuwenden. Gott will nicht nur, dass die Unten teilhaben an allem, sondern auch die von überall her. Alle Welt ist eingeladen. Auch die wir nicht kennen, man nennt sie „die Fremden“.
Die ersten Profiteure dieser Internationalisierung sind wir christlichen Leute. Ursprünglich war der Tisch nur für Israel gedeckt. Aber jetzt kommen wir - Jesus nennt uns in einem Gleichnis zum Thema „Hunde“ (Mt 15,27) - und dürfen auch dabei sein.
Und bekommen nicht nur ein paar Brocken, sondern schöne Plätze, alle gleich. Aber die sind nicht nur für uns Christ:innen reserviert.
Wir erleben auf unserer Welt in immer größere Maße Migration. Die Ursachen sind vielfältig. Im reichen Norden dieser Welt haben viele Angst davor und denken, Abschottung, Zurückdrängung und Ausweisung seien die Gebote der Stunde. Man fühlt sich überfordert. Aber wohlgemerkt: Das ist ein Gefühl. Es speist sich nicht aus einer Analyse der Fakten oder gar aus der Begegnung mit denen, die da wirklich kommen. Ausgrenzung und Ablehnung haben ihre Ursache vielmehr in einer Angst oder Erfahrung, nicht mehr mitzukommen, nicht gehört zu werden, nicht sicher zu sein. Da könnte es gut tun, sich die Angst nehmen zu lassen von einem, der sich damit auskennt. Und auf Gott zu hören, zu hören und zu hören.
Er sagt:
Ihr werdet Leute herbeirufen, die ihr nicht kennt.
Und Leute, die euch nicht kennen, kommen herbei.
So will es der HERR, euer Gott, der Heilige Israels.
Und ganz am Ende:
Er lässt euch diese Ehre zuteil werden.
Der Heilige Israels ruft uns und die anderen.
Kommt! Kommt zu mir!
Und: Guten Appetit!
Pastor Klaus Kramer
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