
29/09/2025 0 Kommentare
"Lernt von den Lilien auf dem Feld!"
"Lernt von den Lilien auf dem Feld!"
# Gemeindeleben

"Lernt von den Lilien auf dem Feld!"
Am 28.09. wurden im Gottesdienst drei neue Vorstände in ihr Amt eingeführt.
Für jeden Sonntag gibt es einen Predigttext für die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland. Dieser war diesmal aus der Bergpredigt, aus dem Matthäusevangelium Kapitel 6, Verse 25-34. Einige meiner Gedanken, die Teil meiner Ansprache waren, möchte ich noch einmal beschreiben.
Zuerst: ich weiß natürlich auch, dass im Gazastreifen, in Kiew oder Charkiw, in den Armutsvierteln überall auf der Welt wahrscheinlich niemand von den Lilien auf dem Feld lernen will oder kann. Ich rede also für uns, soweit wir hier zu denen gehören, die im Wohlstand leben ...und damit geht das Problem schon los.
Der Predigttext fängt an mit: "Deswegen sage ich euch: 'Sorgt euch nicht um euer Leben, darum, was ihr essen oder anziehen sollt. Lernt von den Lilien: sie arbeiten nicht und sind doch prachtvoller gekleidet als König Salomo!' Sorgt euch also nicht um morgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage."
Ich war neugierig und wollte wissen: weswegen sagt Jesus das? Die Antwort gibt der Vers, der unmittelbar vor dem eigentlichen Predigttext steht. Warum gehört er nicht dazu? Er ist der Schlüssel, um alles folgende zu verstehen.
"Niemand kann zwei Herren dienen. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon!" Deswegen sagt Jesus das alles!
Es muss in der Zeit und in der Nähe von Jesus schon Menschen gegeben haben, die dem Mammon gedient haben. Und Jesus sagt klar: das geht nicht, hier ist wirklich eine Entscheidung fällig, du kannst nicht zwei Herren dienen! Schon vor 2000 Jahren gab es das Problem, dass es für manche oberstes Gebot war, viel zu besitzen, und noch 700 Jahre davor gab es dieses Problem auch schon:
Amos oder Hosea z.B. warnten damals schon genauso vor der Habsucht wie Jesus. Und auch Luther wusste: "Das, woran du dein Herz hängst, ist dein Gott!"
Jesus redet die an, die feststecken in einer Lebenshaltung, die heute klar beschrieben und immer noch gefordert wird: es muss immer noch mehr Wachstum geben.
Lernt von den Lilien auf dem Feld - sie arbeiten nicht und spinnen nicht, aber selbst Salomo in all seiner Pracht war nicht gekleidet wie eine von ihnen. "Was sollen wir essen? was trinken? was anziehen?" Danach fragen Ungläubige, sagt Jesus, Leute, die von Gott eher wenig verstanden haben, jedenfalls, wenn die Gedanken vom Wachwerden bis zum Einschlafen vor allem darum kreisen. Dann stimmt etwas nicht. Habsucht ist auch eine Sucht!
Im Grunde geht es darum, zu erkennen, dass nicht immer das Kosten-Nutzen-Verhältnis über Glück und Unglück entscheidet. Vielleicht sogar nur sehr selten. Vielleicht gar nicht. Seht zu, dass Gottes Wille geschieht, alles andere kommt danach: "Euch muss es zuerst um Gottes Reich und seine Gerechtigkeit gehen. Dann wird euch alles andere dazugegeben", sagt Jesus im Predigttext.
Am Ende meiner Dienstzeit kommen immer mal wieder Gedanken mit in den Gottesdienst, die mich schon ewig begleiten und inspirieren. Dazu gehören die von Erich Fromm aus "Haben oder Sein" und die von Paul Tillich. Beide haben ihre Kritik am Wachstumsdenken schon in den 60er - Jahren formuliert. Aus einem Buch von Paul Tillich ("Die verlorene Dimension") stammen folgende Worte. Ich habe sie im Gottesdienst vorgelesen:
"Die gewöhnliche Frage: 'Was sollen wir tun?' muss mit der ungewöhnlichen Frage: 'Von wo empfangen wir etwas?' beantwortet werden. Die Menschen müssen wieder verstehen lernen, dass man nicht viel geben kann, wenn man nicht viel empfangen hat. Die Religion ist in erster Linie eine geöffnete Hand, eine Gabe entgegenzunehmen, und erst in zweiter Linie eine tätige Hand, Gaben auszuteilen."
Kirchenvorstand oder Kirchenvorständin sein heißt demnach - gerade in diesen Krisenzeiten, in Zeiten der Wachstumskrise auch in der Kirche, in Zeiten schrumpfender Mitgliederzahlen, in Zeiten schwindender Einnahmen:
nur wenn ich frei bin vom Zwang des Habens, vom Zwang des Wachstums, nur wenn ich immer mal wieder eintauche in eine Form des Lebens, wie sie die Lilien vorleben, nur wenn ich immer mal wieder innehalte, um zu überlegen: wozu bin ich eigentlich da neben den Vögeln und den Lilien, nur wenn ich nicht ununterbrochen in tiefer Sorge bin um die Zukunft, nur dann werde ich genügend Kraft finden für meinen Weg.
Wie meine Ansprache schließe ich auch diesen Beitrag mit einer Erzählung: schon ungefähr 10 Jahre hängt in meinem Arbeitszimmer einer von den Adventskalendern, die mir jeden Tag einen Spruch mit auf den Weg geben. Damals habe ich entschieden, nach dem 14. Dezember einfach mal nicht weiterzublättern. Ich bin sozusagen stehen geblieben bei dem Gedanken von Oscar A. Romero:
"Wir können nicht alles tun. Es ist ein befreiendes Gefühl, wenn uns dies zu Bewusstsein kommt. Es macht uns fähig, etwas zu tun. Und es sehr gut zu tun."
P.S.: Die Geschichte von dem Gebet im Bürgerpark, vom Atem, der mich durchströmt und trägt, erzähle ich später ...
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